Hören | Nachdem in Baden-Württemberg, Niedersachsen und zuletzt in Schleswig-Holstein bei der Bejagung von als invasiv eingestuften Säugetierarten und weiteren von Jägern als Raubwild bezeichneten Tierarten, wie etwa dem Rotfuchs, Nachtsicht- bzw. Wärmebildtechnik (im folgenden „Nachtjagdtechnik“) zugelassen ist, werden Forderungen von Jagdverbänden laut, die auch in anderen Ländern zuzulassen.
Das betrachten wir sowohl aus der Sicht des Tier- wie auch des Naturschutzes als kritisch bzw. nicht zielführend und nehmen dazu wie folgt Stellung:
Marderhund und Waschbär werden in vielen Bundesländern schon heute intensiv bejagt. Ansitz- oder Pirschjagd spielen dabei – wenn überhaupt – eine untergeordnete Rolle. Die Jagd auf diese Tierarten erfolgt vornehmlich mittels der Fallenjagd. Die Zulassung von Nachtjagdtechnik hätte daher von vornherein nur geringe Effekte.
Darüber hinaus kann man zumindest beim Rotfuchs, in etlichen Bundesländern auch beim Waschbären aufgrund der Jagdstrecken, die bei einer intensiv bejagten Art immer ein gutes Indiz für die Bestände sind, schließen, dass diese Tierarten ohnehin an ihrer Kapazitätsgrenze leben. Eine weitere Intensivierung der Jagd durch Nachtjagdtechnik kann aufgrund der sich ähnelnden Populationsdynamik dieser Tierarten keine nachhaltige Reduzierung der Bestände bewirken. Zahlreiche Studien zur Populationsdynamik des Rotfuchses [1] und auch eine amerikanische Studie an Waschbären zeigt auf, dass die Bejagung zu keinerlei Bestandsreduktion führt, sondern lediglich zu einer Verschiebung im Altersklassenaufbau mit einem deutlich höheren Anteil an Jungtieren und trächtigen Fähen gegenüber unbejagten Populationen (ROBEL). [2] Dass eine solche Situation zu mehr Tierleid führt, ist nachvollziehbar.
Hinzu kommt, dass schon heute ganzjährig die Möglichkeit besteht, Wildtiere zu bejagen und damit selbst in Natura 2000-Gebieten erheblich zu beunruhigen. Beim Schwarzwild, welches ohne Schonzeiten ganzjährig bejagt wird, ist die Verwendung von Nachtjagdtechnik bereits seit 2020 in den meisten Bundesländern zulässig. Eine belastbare Evaluation des bisherigen Einsatzes dieser Technik wurde unseres Wissens bisher in keinem Bundesland durchgeführt. Auch sind entsprechende Bewertungen aus Baden-Württemberg (2020) oder Niedersachsen (2022), wo Nachtjagdtechnik auch für die Jagd auf Füchse, Nutria oder Waschbären erlaubt ist, nicht bekannt. Der Einsatz von Nachtjagdtechnik beruht also allein auf Annahmen, der Nutzen ist bisher nicht belegt und wurde nicht wissenschaftlich geprüft.
In Deutschland haben wir bereits heute die längsten Jagdzeiten für Schalenwild in Europa. Die Resultate im Hinblick auf eine nachhaltige Reduzierung von Wildtierarten sind marginal, weil mehr Jagd, insbesondere an der Kapazitätsgrenze einer Tierart nicht zielführend ist. [3] Eine weitere Öffnung der Jagd zur Nachtzeit hin nimmt den Wildtieren – gerade auch den nicht jagdbaren und zum Teil streng geschützten Tierarten – einen letzten Hort des Rückzugs.
Durch den nochmals steigenden Jagddruck steigt die Stressbelastung der Wildtiere [4] und damit vergrößern sich einhergehende Probleme wie Anfälligkeit für Krankheiten, Pflanzenverbiss, Ausfall oder Aufgabe von Bruten störungsanfälliger Vogelarten. Bei Reh- und Rotwild wurden stressbedingte Auswirkungen auf die Populationsdynamik belegt. Studien belegen zudem für das Rotwild, dass Stressbelastung zu mehr weiblichen Geburten führt. [5]
Ganz unabhängig davon konnte durch die Bejagung von Waschbären bis dato für den Naturschutz, insbesondere für die Biodiversität, kein Nutzen nachgewiesen werden. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein: Bestandverluste an der Lebensraumkapazitätsgrenze sind Auslöser für eine erhöhte Reproduktion. Der Nahrungsbedarf der bejagten Tierart und damit die Zahl der Konflikte dürfte durch die intensive Bejagung eher zunehmen.
Auch die EU-Verordnung zu den invasiven Arten (Verordnung (EU) Nr. 1143/2014) ist kein Freibrief für die Bejagung der Waschbären und anderen, als invasiv eingestuften Arten. Ganz im Gegenteil: Die Jagd kann gar keine Maßnahme im Sinne der EU-Verordnung sein, solange sie sich nicht auch den sonstigen Regeln der Verordnung unterwirft. Die EU fordert beispielsweise, dass zunächst die Schäden der invasiven Arten und der Nutzen der Maßnahmen gegeneinander abgewogen werden müssen. Sie fordert, dass Maßnahmen "verhältnismäßig", das heißt angemessen sein müssen. Und letztlich fordert die Verordnung, dass die Wirksamkeit von Maßnahmen ganz konkret nachgewiesen werden muss. Das bedeutet nicht weniger, als dass man anstatt auch noch die Nacht mittels Technik zum Tage zu machen, die Jagdzeiten für Waschbären und andere invasive Arten vernünftigerweise komplett streicht und stattdessen gezielt dort über lokale Maßnahmen nachdenkt, wo es tatsächlich ein erhebliches Konfliktpotential mit den Zielen des Naturschutzes gibt. Dabei sollten auch nicht-letale Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Eine Tötung kann immer nur Ultima Ratio sein.
Aus Gründen der Weidgerechtigkeit kann Nachtjagdtechnik auch ohnehin kein Ersatz für das Ansprechen von Tieren unter geeigneten Sichtverhältnissen sein. Ihre Verwendung ermutigt Jäger dazu, hochriskante Schüsse abzugeben, durch die Wildtiere nur verletzt, aber nicht sofort getötet werden. Das dadurch verursachte Leid wird noch dadurch verstärkt, dass zur Nachtzeit eine Nachsuche i.d.R. nicht erfolgen kann und – wenn überhaupt – frühestens am nächsten Morgen durchgeführt wird, was aber nicht gesetzeskonform ist. Zudem erhöht sich die Gefahr von Fehlabschüssen, d. h. von Abschüssen der falschen Tierart. Auch mit einer guten Wärmebildkamera ist die Bestimmung von Tieren deutlich schwieriger als unter natürlichem Licht.
Es stellt sich ferner die Frage, wie die Technisierung der Jagd unter ethischen Gesichtspunkten und damit auch hinsichtlich der Weidgerechtigkeit zu beurteilen ist. Wer diese Technik befürwortet, sollte sich auch die Frage stellen, ob diese Art der Bejagung noch weidgerecht und damit auch tierschutzgerecht ist. Die Grundsätze der Weidgerechtigkeit verlangen auch, dem Wild die größtmögliche Chance zu lassen. Dies erscheint bei einer hohen Technisierung zweifelhaft. Die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist darüber hinaus auch durch entsprechende Studien nicht belastbar belegt. Damit entbehrt die Nachtjagdtechnik auch jeglicher jagdlichen Ethik.
Schließlich entzieht sich durch den Einsatz von Nachtjagdtechnik die Jagd noch weiter der öffentlichen Beobachtung. Jagdvergehen werden dadurch noch schwerer entdeck- und dokumentierbar. Letztlich können Jäger dadurch noch uneingeschränkter und unkontrollierter schalten und walten als bisher schon. Dass die jagdliche Selbstkontrolle und die Sanktionierung durch die Jagdorgane nicht funktioniert, dürfte Fakt sein.
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[1] Frommhold (2018): Kurzzusammenfassung wissenschaftlicher Literatur zum Rotfuchs
[2] ROBEL, R.J. et al.: Racoon Populations: Does Human Disturbance Increase Mortality? In Transactions of the Kansas Academy of Science 93 (1-2), 1990, S. 22-27".
[3] REICHHOLF, J. (2013): Jagd reguliert nicht - Vortrag
[4] VILELA, S. et al.: Physiological Stress Reactions in Red Deer Induced by Hunting Activities (2020)
[5] Wildtiere und Stress, in PIRSCH (2022)
Fortsetzung: Ausführungen zur Fuchsjagd
Der Infodienst Wildtiere wird von Wildtierschutz Deutschland in Zusammenarbeit mit Bund gegen Missbrauch der Tiere, Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht, Deutscher Tierschutzbund herausgegeben:
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