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  • Dr. Cornelia Konrad

Waschbär: unglaubliche Verrohung im Umgang mit sog. invasiven Arten

Offener Brief von Dr. Cornelia Konrad, TierfreundLich e.V., an Gerald Dick, Mitglied des Stiftungsvorstandes VIER PFOTEN und Vorstandsmitglied der Eurogroup for Animals (EfA). Zitat: „Wie wir Tiere behandeln, ist ein Indikator dafür, wie wir mit unseren Mitmenschen und der Umwelt umgehen."


Sehr geehrter Herr Dick,

in der Ausgabe Nr. 40 des „Stern“ vom 29.09.2022 ist unter der Rubrik „Bilder der Woche“ ein narkotisierter Braunbär abgebildet, der nach einem bisher traurigen Dasein nun ein artgerechtes Leben führen darf – „... dank der international operierenden Organisation ‚Vier Pfoten‘, die sich weltweit dafür einsetzt, dass der Mensch den Tieren mit Respekt und Mitgefühl begegnet.“

Respekt und Mitgefühl scheinen allerdings nicht allen Mitgeschöpfen gleichermaßen entgegengebracht zu werden, wie Ihre Antwort vom 30.09.2022 als Vorstandsmitglied der Eurogroup for Animals (EfA) an Herrn Dr. Dati zeigt: In Bezugnahme auf den Beitrag von Nick Clark „To list or not to list?“ führen Sie aus: „Ihr starkes Engagement für Waschbären in Ehren, aber es ist wohl wichtig zwischen Tierschutzangelegenheiten und Naturschutzangelegenheiten zu unterscheiden (?). Die ökologische Beschreibung von Waschbären ist vollkommen korrekt (?) und Sie können die von Ihnen kritisierte Wortwahl in den entsprechenden Ökologiefachbüchern (?) nachlesen.“

Die Fragenzeichen (1 – 3) zeigen unser Unverständnis zu Ihren Aussagen an:

Zu 1: Als EfA-Vorstandsmitglied und Leiter des internationalen Tierschutzprogramms von „Vier Pfoten“ argumentieren Sie hier allerdings nicht „for animals“ und für den Tierschutz, sondern verteidigen unter dem Vorwand Naturschutz die weitere Listung heimischer Wildtiere (hier: Waschbär) als IAS (= Invasive Alien Species / Invasive gebietsfremde Arten), wohlwissend, dass diese Listung die Rehabilitierung der inkriminierten Arten (Waschbär, Nutria, Nilgans und Co.) als „normale“ heimische Wildtiere niemals zulässt!

Ist für die EfA Tierschutz teilbar? Ist Naturschutz teilbar? Gibt es „gute“ und „schlechte“ Tiere? Gibt es eine „gute“ und eine „schlechte“ Natur? Sind die (vermeintlich) „Guten“ für die EfA schützenswert und die (vermeintlich) „Schlechten“ nicht?

Zu 2 und 3: Wir kennen keine Ökologie-Fachbücher (weshalb wir für Ihren Hinweis sehr dankbar wären) sondern nur die (meisten) wissenschaftlichen Publikationen, in denen allerdings keine negativen Einflüsse von Waschbären auf die Biodiversität, die menschliche Gesundheit und die Wirtschaft nachgewiesen werden konnten – die aber erstaunlicherweise bis heute von den Architekten und Befürwortern der EU-Verordnung 1143/14 ignoriert werden.



Waschbär im Baum
Die EU-Liste der invasiven Arten führt zur Verrohung gegenüber dem Waschbären und anderen Tierarten. Bild: Andreas Nowak

Ignoriert offenbar auch von der EfA, obwohl gerade vor dem Hintergrund seiner naturwissenschaftlich und tierschutzrechtlich kompetenten Mitglieder das Gegenteil zu erwarten wäre – und nicht der lapidare Hinweis auf eine „... korrekte Beschreibung der Rolle des Waschbären“!

Welche „Rolle“ meinen Sie? Der Waschbär als Überträger von Tollwut, Toxoplasmose und Askariden? Lächerlich! Der Waschbär als Schädling für den Obst- und Weinbau und als Killer im Hühnerstall? Unsinnig! Der Waschbär als ein Hauptverursacher für den Biodiversitätsverlust? Absurd!


Dabei stützt sich die EfA im o.g. Beitrag ausgerechnet auf jene Quellen und Begründungen, denen sie selber Intransparenz und mangelnde Wissenschaftlichkeit attestiert. Obwohl bisher keiner der Vorwürfe bewiesen werden konnte – trotz aller Bemühungen der Invasionsbiologen, der Jägerschaft und insbesondere der Projekte ZOWIAC und AlienScenarios - akzeptiert die EfA diese weiterhin als Grundlage für die bestehende Listung, mit allen negativen Konsequenzen für die Tiere.

Wer nicht möchte, dass heimische Tierarten als „Pest“ und „Second Class-Spezies“ verunglimpft, verfolgt und vernichtet werden, muss dafür Sorge tragen, dass Fakten statt Fakes weiter getragen werden. Wer allerdings dem Narrativ von „Pest“ und „Schädling“ nicht energisch widerspricht, sondern die „ökologische Beschreibung“ bzw. „Rolle“ des Waschbären auch noch als korrekt bezeichnet, macht sich mitschuldig am unnötigen Tierleid, denn: Man handelt wie man spricht - Pest und Schädlinge müssen vernichtet und ausgerottet werden!

Ein aktuelles Beispiel zeigt, zu welcher unglaublichen Verrohung und zu welchen Grausamkeiten die Listung als „Invasive Alien Species“ führt – und selbst Ehrenbeamte wie die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr nicht ausschließt!

Aufklärung tut Not: Wer wäre nicht besser dafür geeignet als die EfA mit der Fachkompetenz ihrer starken Mitglieder?

An wissenschaftlich evaluierbaren Daten zu den inkriminierten Arten (hier: Waschbär) fehlt es jedenfalls nicht: Neben hunderten wissenschaftlichen Publikationen beweisen besonders die Monitoring-Ergebnisse aus dem Nationalpark Kellerwald und dem Müritz-Nationalpark, in denen Waschbären seit über 80 (Kellerwald) bzw. über 50 Jahren (Müritz-Nationalpark) heimisch sind und nicht bejagt werden, dass die Artenvielfalt nicht leidet – im Gegenteil! Resümee: Viel Waschbär, keine Jagd = hohe Biodiversität!

Natürlich ist eine solche simple Verknüpfung komplexer Vorgänge wissenschaftlich nicht korrekt – allerdings: Basierte die Listung und nun die Revision auf der Grundlage aller verfügbaren wissenschaftlichen Daten? Nein! Im Gegenteil: Bisher wurden die wissenschaftlichen Arbeiten nicht aufgeführt und nicht zur Kenntnis genommen, wenn sie die Annahmen nicht bestätigen konnten bzw. widerlegten, die zur Listung als IAS führte.

Eine solche Vorgehensweise wird gemeinhin als selektive Wahrnehmung bezeichnet, die allerdings nichts mit wissenschaftlich korrekter Methodik zu tun hat. (Dazu ein interessanter Beitrag „Glaub nicht alles, was du weißt; Die Illusion der Vernunft: Wie Überzeugungen entstehen“, GEO-Ausgabe 11/2022).

Die EfA beschreibt sich selber als „The voice for animals in Europe“. Ihre Vision: „A Europe that takes care for animals. A Europe where the well-being of all animals is assured, and where they experience a good life.“ Bitte handeln Sie danach: Take care for all animals!

Der Tier- und Naturschutzverein TierfreundLich e.V. ist anerkannte Wildtierpflegestelle gemäß § 45 Abs. 5 BNatSchG und versorgt seit 22 Jahren hilfsbedürftige Wildtiere (Aufzucht, Rehabilitation, Auswilderung).

Für Fragen stehen wir gerne zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen, für den Vorstand: Dr. Cornelia Konrad

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