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  • Margareta Rochlage

Giovanni - eine Gute-Nacht-Geschichte

Giovanni benahm sich sonntagmorgens ganz eigenartig, meckerte vor dem Bürofenster, lief bis zum Ende der Terrasse, kam zurück, schimpfte und wiederholte die Prozedur so lange, bis ich endlich begriff, was er meinte, Jacke und Stiefel anzog, ihm folgte. Minus 14 Grad, der von Rinderhufen durchlöcherte Wiesenboden so hart, dass man sich jederzeit die Haxen brechen konnte. Mein Kater stürmte „rücksichtslos“ voran, um mit einem Drei- Meter-Sprung den Bach samt Eisformationen zu überqueren.

„Hallo? Das kann ich nicht! Weiter unten gibt’s doch eine kleine Brücke?“ Gianni verstand’s sehr genau, kam nicht nur zurück, um mit mir über den zugewachsenen Steg zu gehen, sondern marschierte beim nächsten Bach bis zu einer Furt, zeigte mir die Stelle, an der ich mit einem einzigen langen Schritt auf die andere Seite kam.

Es wird kompliziert, wenn ein Katerle in Katzendimensionen denkt und unsereins für ein langbeiniges Exemplar seiner Art hält. Schwups hechtete er eine Böschung hoch, dichtes Tannengestrüpp. „Nein danke, ich krieche nicht auf dem Bauch unter zukünftigen Weihnachtsbäumen durch!“ - „Mit dir kann man aber auch wirklich gar nichts unternehmen.“ Giovannis Ziel erreichten wir trotzdem, „es“ stand plötzlich vor uns:

Elsa. Bis auf die Knochen abgemagert. Sie konnte sich in dem harten Winter nicht vernünftig ernähren, zumal es auf den Höfen allenfalls Milch gibt - und der wilde Sibire sie von meiner Terrasse verscheucht hatte. Elsa und Gianni trippelten artig bei Fuß mit mir nach Hause. Sie durfte sich aufwärmen, satt futtern, bekam fortan - sie meldete sich meist nachts - Extraportionen, nahm schon in der ersten Woche 500 Gramm zu.

Gianni wusste, wo sie war, dass es ihr bedenklich schlecht ging: Elsa

Gianni wusste, wo sie war, dass es ihr bedenklich schlecht ging, führte mich zu Elsa. Umgekehrt funktionierte es leider nicht. Die hübsche Dame muss beobachtet haben, wie mein Kater verunglückte, in eine Schlagfalle geriet oder ähnliches. Aber anstatt mich zu alarmieren, kam sie nur rein, legte sich demonstrativ in Giovannis Korb: „Der kommt nicht mehr, ich bin jetzt deine Katze.“ Hab sie mitgenommen, „zeig mir, wo Gianni ist“ - Elsa schaute nur gelangweilt in die Landschaft.

Wir (ein Freund half) waren überall, suchten die Bergwiesen und Gebüsche, Bäche ab, fragten mit Bild auf jedem der umliegenden Höfe. Angeblich sah ihn niemand. Was soll man auch sagen, wenn man diese strikt verbotenen Fallen auslegt, eigene oder fremde Katzen darin umkommen?! Reden Sie mal mit dem zuständigen Forstrevier: „Tut uns leid, aber dazu können wir Ihnen gar nichts sagen, tschüs.“

… Inzwischen sind zwei Monate und viele weitere Suchaktionen vergangen. Giovanni wird wohl nicht mehr zurückkehren, obwohl er jede Nacht in Träumen quicklebendig ist. Immer noch Hoffnung gegen jede Hoffnung. Im Winter 2016/17 tauchte der junge sibirische Waldkater hier auf, vermutlich ausgesetzt, damals mein erster Gedanke: „Er kommt, weil Giovanni bald gehen muss.“ Es wäre so leicht, da die kleine Schönheit sehr zutraulich ist.

Aber, passt doch zum Jahr der Wildkatze? Ausgerechnet der „hässlichste“ Kostgänger gefällt mir am besten. Eindeutig Wildkater-Mix. Er hat sich ordentlich gefetzt und dabei das rechte Auge verloren. Man schaut in eine blutige Höhle. „Das Auge tut dir bestimmt arg weh?“ - „Jaa?! Woher weißt du das denn?“ „Kann man kaum übersehen, hab’ dir etwas Klapperschlange wegen der Bakterien unters Essen gemischt.“ … Bernardo gehört mittlerweile „zum Inventar“. Ein sehr höflicher, ruhiger älterer Herr. Die Infektionsgefahr haben wir ziemlich gut im Griff. Auch der junge Sibire erholt sich zusehends von seiner schlimmen Wunde am Knie. Man möchte es nicht glauben, aber da hat ganz offensichtlich jemand mit einer Sense zugeschlagen, ihm einen tiefen Schnitt, eher eine Kerbe am äußeren Gelenk beigebracht, in den Knochen gehauen. Die eigentliche Kapsel zwar nicht verletzt, aber die an der Stelle ansetzenden Bänder durchtrennt. Inzwischen läuft und springt das russische Waldkaterle wieder wie früher, neues Fell sprießt am bisher kahlen Knochen. Grob geschätzt dürfte das haarige Knäuel im Herbst zwei Jahre alt werden, ist aber immer noch ein Kleinkind, das volle Versorgung fordert. Erst ein Film über Wildkatzen brachte mich darauf, dass deren Welpen nicht Wochen, sondern Jahre bei der Mutter bleiben. Bereits im vorletzten Winter Experten gefragt, warum Francesco ständig laut rufend auf und ab marschiert. Er suchte seine Mutter, nachdem man ihn schnöde im Tal aussetzte - meine Erklärung, da es sonst keine gab. Sprachbegabt ist das Kerlchen weiterhin. Wer wunderte sich schon einmal über Hahnenschreie auf dem Gartentisch, wenn die Gefiederten doch ein Stück weit weg leben? Sibirischer Waldkater als „Telegraphen-Station“: „Wir leiten Ihre Nachricht gerne weiter.“ Zumindest versucht Francesco zu krähen, leidenschaftlich.

Gewissermaßen „domestiziert“ sind die Jungen Wilden nun ein wenig. Soll heißen, dass ich sie auf den Schoß nehmen kann, ohne Schläge oder Bisse einstecken zu müssen. Selbstverständlich nur, wenn es Wehwechen zu versorgen gilt. Eben, das lässt mich oft staunen. Sie wissen’s ganz genau, dass sie medizinisch betüddelt werden, tolerieren’s geduldig. Okay, dafür muss man etwas leisten, normales menschliches Verhalten ist nicht opportun. Keine Musik, überhaupt keine „lauten“ Geräusche, Bewegung in Zeitlupe, auf Socken, Stimme stets gesenkt. Ein beachtlicher Preis für’s Zutrauen dieser sensiblen Tiere.

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