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Esther Juhl

Ein Plädoyer für die Ratte

Ratten und Mäusen begegnen viele Menschen noch immer mit Hass oder Ekel. Allein in Berlin gab es im Jahr 2017 über 10.000 Gifteinsätze gegen Ratten. Das ist ein trauriger Rekord. Das Gift wird nicht nur in Wohngebäuden ausgelegt, sondern häufig im Freien neben Büschen, auf Grünflächen, vor Hauseingängen oder an Müllplätzen.

Ratten sind hochintelligente und sehr soziale Säugetiere mit einem ausgeprägten Familiensinn und verdienen nicht weniger Respekt als andere Tiere. Sie bauen enge Bindungen zu Artgenossen auf, verteidigen ihre Familie, gehen gemeinsam auf Futtersuche und schlafen aneinander gekuschelt. Stirbt ein Mitglied der Rattenfamilie, erleiden die Artgenossen einen schlimmen Verlust.

Ratten sind sehr soziale Tiere

Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland Menschen durch Ratten erkranken ist äußerst gering. Bild: Reg Mckenna - originally posted to Flickr as Wild Rat

Das Vergiften von Kleinsäugern ist überdies sehr grausam. Die Rodentizide sind so gewählt, dass die Tiere erst nach 4-7 Tagen nach Giftaufnahme sterben, damit die Artgenossen keinen Zusammenhang zwischen Gift und dem Tod des Tieres erkennen. Das bedeutet, dass die Tiere lange leiden bevor sie sterben. Rodentizide verursachen innere Blutungen von Organen. Da Organe nervennahe Regionen sind, sind die Blutungen, die schließlich zum Organversagen führen, mit extremen Schmerzen für die Tiere verbunden.

Trotz des massiven Einsatzes von Gift wird die Zahl wildlebender Ratten und Mäuse in den Großstädten im Mittel nicht geringer. Das ist nicht verwunderlich, denn Mäuse oder Ratten versuchen wie alle anderen Tiere, die entstandenen Verluste auszugleichen. Je mehr Tiere an Gift sterben, desto mehr werden auch wieder geboren. Würde hingegen auf Gift verzichtet, würde auch die Reproduktionsrate zurückgehen. Der Verzicht auf Gift hätte also gar keinen Einfluss auf die Population der Ratten und Mäuse.

Das Einsetzen von Gift auf öffentlichen Flächen ist nicht nur sinnlos und grausam den Ratten und Mäusen gegenüber, sondern birgt auch Gefahren für andere Tiere. In der Stadt lebende Füchse und Greifvögel sind auf Mäuse und Ratten als Nahrungsquelle angewiesen. Eine Vergiftung der Nagetiere hat oftmals auch eine Vergiftung von Beutegreifern zur Folge, wenn diese vergiftete Tiere fressen. Auch Hauskatzen können sich durch vergiftete Mäuse vergiften und qualvoll sterben. Gerade, wenn viele Giftköder eingesetzt werden, kann es auch dazu kommen, dass Nagetiere Gift aus den Köderboxen heraustragen und auf dem Erdboden liegen lassen. Dort kann das Gift im Grunde jedes andere Tier töten, das es versehentlich aufnimmt (im Übrigen auch Menschen).

Immer wieder argumentieren Schädlingsbekämpfer und deren Befürworter, dass Ratten Krankheiten übertragen würden. Doch ist das Risiko wirklich so hoch? Es gibt so gut wie keine belegten Fälle, in denen Menschen sich bei Ratten mit einer schwerwiegenden Krankheit angesteckt haben. Das Risiko ist minimal, selbst wenn eine Ratte auf Menschen übertragbare Erreger mit sich tragen würde. Um sich zu infizieren müsste man eine ausreichende Anzahl an Bakterien aufnehmen. Dazu wiederum müsste man direkten Körperkontakt zu vielen infizierten Tieren haben. Das ist so gut wie ausgeschlossen, da lebende Ratten weglaufen, wenn sie Menschen sehen und niemals in die Richtung des Menschen laufen würden, weil sie Angst vor ihm haben. Bei kürzlich an Gift verendeten infizierten Ratten wäre die Wahrscheinlichkeit schon größer, sofern diese z.B. auf Gehwegen liegen bleiben. Die allermeisten Krankheiten bei Ratten sind zudem auf den Menschen gar nicht übertragbar und die meisten Ratten sind ebenso wie die meisten anderen Tiere und die meisten Menschen gesund.

Die Angst der Menschen vor durch Ratten übertragene Krankheiten rührt wohl noch aus den Zeiten des Mittelalters. Damals gab es noch die Pest, die durch die Flöhe auf Ratten übertragen wurde. Doch die Pest ist aufgrund unserer heutigen hygienischen Bedingungen längst ausgerottet.

Seit 2013 dürfen Rodentizide nur noch an Fachleute verkauft werden, also an sogenannte Schädlingsbekämpfer. Wer als Privatperson Rattengift auslegt, macht sich strafbar. Die sogenannten Schädlingsbekämpfer sind seit 2013 meist für das draußen ausgelegte Gift verantwortlich. Auch wenn dazu aufgerufen wird, draußen gesichtete Ratten zu melden, empfiehlt es sich, das nicht zu tun. Das kann Leben retten, wenn viele Menschen mitmachen und niemand den sogenannten Schädlingsbekämpfer ruft. Es wäre zudem an der Politik, die Meldepflicht von Ratten in den entsprechenden Städten und Bundesländern, in denen sie gilt, wieder aufzuheben und sich für eine drastische Einschränkung und bestenfalls ein Verbot der gefährlichen Gifte einzusetzen.

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Interessiert Sie mehr zum Thema? Hier gibt es einen Filmbeitrag des BR.

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