Die „Schwarzwildstrecke“- zu Deutsch: die Zahl der von Jägern erschossenen Wildschweine - hat sich im Zehn-Jahresdurchschnitt in Deutschland seit dem Jagdjahr 1991/92 bis heute mehr als verdoppelt. Sie ist seitdem von durchschnittlich 211.888 in 1991/92 auf über eine halbe Million seit 2015/16 kontinuierlich gestiegen.
Obwohl seit etlichen Jahren die Intensität der Wildschweinbejagung zunimmt, nehmen die Bestände keineswegs ab, sie werden vielmehr kontinuierlich größer. Das hat viele Gründe: gutes Nahrungsangebot, milde Winter, verstärkter Maisanbau, Zerstörung der Familienverbände durch die Jagd, Ausgleich von Bestandsverlusten durch mehr Geburten.
Damit wachsen auch die Klagen über Schäden aus der Landwirtschaft und zunehmend aus den Peripherien der Städte. Schäden wohlgemerkt, die den Einzelnen hart treffen können, aber bei weitem kein volkswirtschaftlich relevantes Ausmaß annehmen. Umgelegt auf die gesamte Bundesrepublik könnten sämtliche Wildschäden mit umgerechnet etwa einem Euro pro Bürger pro Jahr ausgeglichen werden.
Einer weiteren Intensivierung der Jagd auf Wildschweine - wie sie jetzt von Jägern und Jägerfreunden in der Politik aufgrund des Auftretens der Afrikanischen Schweinepest in Teilen Osteuropas gefordert wird - sind allerdings Grenzen gesetzt, sowohl im räumlichen Sinne (Problem der Jagd in städtischen Regionen), als auch aus ethischen Gründen aus Tierschutzgründen: Die Aufhebung von Schonzeiten, das Abschießen von Leitbachen, eine verstärkte Jagd auf Frischlinge und eine zunehmende Anzahl von Drückjagden stoßen nicht nur in der Bevölkerung auf Akzeptanzprobleme, auch im Kreis der Jägerschaft gibt es Widerstände.
Bei der Wildschweinjagd gibt es keine Tabus mehr, dennoch steigen die Bestände kontinuierlich. Bild: Marisa, Pixabay
Impfstoffe haben die EU-Zulassung - keine hormonelle Belastung
Eine Lösung, die Landwirtschaft, Gemeinden und Städten helfen könnte, liegt in der Empfängnisverhütung bei Wildschweinen. Von der Jägerschaft wird diese Maßnahme allerdings skeptisch beurteilt.
Als Hauptargument gegen eine Empfängnisverhütung wird angeführt, dass mit Sexualhormonen versetztes Wildfleisch nicht mehr zum Verzehr geeignet ist. Eine zweite Befürchtung zielt auf das Szenario, dass die „Pille für das Wildschwein“ flächendeckend ausgebracht wird, und danach die Fortpflanzung vollständig und vor allem unkontrolliert zusammenbricht. Beide Argumente lassen sich jedoch sehr schnell widerlegen:
Neuere Präparate zur Fortpflanzungskontrolle basieren nicht mehr auf Hormonen, sondern auf Antikörpern (körpereigene Eiweißmoleküle). Markterprobte Impfstoffe z.B. gegen das Hypophysenhormon GnRH haben bereits die EU-Zulassung für die Verwendung bei Tieren, die für die Nahrungsmittelproduktion vorgesehen sind und sind deshalb auch vollkommen unbedenklich im Hinblick auf die Verwertung des Wildbrets von geimpften Wildschweinen. Gelegentlich geäußerte Bedenken hinsichtlich hormoneller Belastungen können vollkommen aus dem Weg geräumt werden, da diese Medikamente keine hormonelle Wirkung ausüben.
Ein Großteil der jetzt zur Strecke gebrachten Wildschweine wird übrigens nicht einmal verwertet, weil es durch die verstärkten jagdlichen Maßnahmen zum Teil gar keinen Markt für Wildbret vom Wildschwein mehr gibt. Zumindest in Mecklenburg-Vorpommern werden die Kadaver aus den Drückjagden direkt in die Tierkörperbeseitigung gefahren.
Wirksamkeit durch „Retard-Mechanismen“ etwa 12 Monate
Die Impfstoffe arbeiten mit Antikörpern bzw. induzieren die Antikörperbildung gegen das Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH). Dieses Hormon reguliert die Bildung der Gonadotropine, die ihrerseits die Bildung von Testosteron beim männlichen und Östrogenen beim weiblichen Tier induzieren. Die Unterdrückung der Hormonproduktion im Hoden bzw. Eierstock inaktiviert die Spermien bzw. Eizellbildung. Die Dauer der Wirksamkeit wird derzeit auf ca. 12 Monate geschätzt, erfordert jedoch eine Auffrischung der Impfung nach 4 bis 6 Wochen. Diese Boosterimpfung könnte jedoch durch den Einsatz besonderer Verpackungen (»Retard«-Mechanismen) überflüssig werden und damit auch für Wildtiere anwendbar werden.
Punktueller Einsatz in Problemzonen
Das Argument einer flächendeckenden Verabreichung kann ebenfalls widerlegt werden, da eine Impfung im herkömmlichen Sinne nur über den direkten Kontakt zum Tier erfolgen kann. Ein weit gestreuter Köder ist hier vollkommen ungeeignet und würde die Aufnahme der Wildschweinpille durch andere Tiere nicht verhindern können. Deshalb können Maßnahmen zur Fortpfanzungskontrolle nur punktuell (z.B. im Umfeld von Siedlungsgebieten, in Gebieten mit nachweislich hoher Wildschweindichte, im Umkreis von Massentierhaltungsbetrieben) durchgeführt werden.
Impfstoffe zur Empfängnisverhütung ohne hormonelle Belastung. Bild: Detlef Hinrichs
Sichere Verabreichungsmethode
Während das Medikament bereits seit langem marktreif ist, bedarf eine sichere Verabreichung an Wildschweine (an anderen nicht frei lebenden Tierarten wurde es bereits erfolgreich erprobt) noch einer wissenschaftlichen Begleitforschung. Dazu sind allerdings Forschungsgelder in Höhe von 400 – 600.000 Euro erforderlich, die seitens der vorwiegend jagdlich besetzten Umweltministerien bisher nicht zur Verfügung gestellt wurden.
Neben einer sicheren Verabreichungsmethode, die gewährleisten soll, dass Impfköder an bestimmten Orten kontinuierlich angeboten werden und ausschließlich von Wildschweinen aufgenommen werden, sind u.a. auch mögliche Auswirkungen hinsichtlich des Revierverhaltens geimpfter Tiere, deren Akzeptanz innerhalb ihrer Familienverbände und das Sozialverhalten der entsprechenden Rotten zu erforschen. Ein Monitoring kann hier beispielsweise über GPS-Halsbänder unterstützt werden.
Als mögliche Vorteile einer Empfängnisverhütung beim Wildschwein sind zu nennen:
Zuverlässige und tierschutzgerechte Bestandsregulierung
Vermeidung einer übermäßigen Beunruhigung des Wildes durch intensive Jagd (z.B. revierübergreifende Bewegungsjagden, Aufhebung von Schonzeiten, u.a.)
Hohe Standorttreue der Wildschweine, weniger Abwanderung in Stadtgebiete
Kein »Vakuumeffekt« (keine leeren Reviere, die durch neue Rotten besetzt werden), weniger Wanderung, weniger Wildunfälle, geringere Gefahr der Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest
Kontrollierte und konstante Bestände
Effektive Möglichkeit der immunologischen Behandlung von Tieren (sofern Impfstoffe zur Verfügung stehen)
Einsatz auch in befriedeten Gebieten (Städten) möglich.
Die langjährigen und intensivsten Bemühungen die Wildschweinbestände durch jagdliche Möglichkeiten zu regulieren, gehen nicht auf – trotz des Einsatzes von Frischlingsfallen, trotz der Aufhebung von Schonzeiten, trotz der Zunahme von Drückjagden. Stattdessen – oder vielleicht auch deshalb? - scheint der Bestand der Wildschweine immer neue Höhen zu erreichen. Es ist an der Zeit, über Alternativen zur zu großen Teilen tierquälerischen Jagd nachzudenken.
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