Hören | Anlässlich des Bundesjägertags in Mainz sprach am 21. Juni die Pfarrerin der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, Dr. Anna Scholz, selber Jägerin, in der Christuskirche in Mainz. In der Vorankündigung des Deutschen Jagdverband hieß es: "Schöpfung bewahren – darum geht es auch bei der Hubertusmesse in der Christuskirche Mainz ... Pfarrerin Dr. Anna Elisabeth Scholz wird unter anderem auf die große Verantwortung von Jägerinnen und Jäger für den Erhalt der Biodiversität und des ökologischen Gleichgewichts eingehen."
Dr. Martin Steverding und Lovis Kauertz, Mitglieder des Vorstands von Wildtierschutz Deutschland hatten im Vorfeld folgende Korrespondenz mit der jagenden Pfarrerin, die wir nachfolgend unkommentiert weitergeben.
Dr. Martin Steverding
Sehr geehrte Frau Dr. Scholz,
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Die Bewahrung der Schöpfung ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Eine Voraussetzung dafür ist ein respektvoller Umgang mit den nicht-menschlichen Mitbewohnern unserer Erde. Die Jagd wird dieser Herausforderung nicht gerecht.
In Deutschland ist die Jagd im Wesentlichen das Freizeitvergnügen einer privilegierten, häufig wohlhabenden Minderheit von weniger als 0,5 % der Bevölkerung. Sie dient weder dem Allgemeinwohl noch wird sie in Sachen Tierschutz den Grundsätzen unserer Verfassung gerecht. Die Jagd in ihrer heute praktizierten Form widerspricht dem Willen eines großen Anteils der Bevölkerung. Sie führt dazu, dass die Wildtiere aufgrund ihrer jagdbedingten Scheu für die große nicht-jagende Bevölkerungsmehrheit kaum erlebbar sind.
Jagd ist für die Ernährung weder notwendig noch relevant, da auf Fleischkonsum gut verzichtet werden kann und da sie aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte nur einen winzigen Teil der Ernährung abdecken kann.
Für die vielen Wildarten, die nicht genutzt, sondern in der Regel nach dem Abschuss entsorgt werden, ist die Jagd auch ethisch nicht vertretbar. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit sogenannten Raubwildarten.
Es gibt bis heute auch keine belastbaren Belege dafür, dass die Jagd in Deutschland zum Erhalt bedrohter Arten beiträgt. Naturschutzargumente der Jägerschaft dienen vorwiegend der Täuschung einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit. Dem eigentlichen Problem der ungebremsten Lebensraumzerstörung hingegen kann die Jagd nichts entgegensetzen.
Aus den genannten Gründen widerspricht die Jagd diametral der christlichen Ethik des Respekts und der Ehrfurcht vor der Schöpfung. Sie ist Ausdruck einer veralteten anthropozentrischen Sichtweise, die die Herrschaft des Menschen über die übrigen Erdenbewohner beansprucht und die dazu beigetragen hat, dass sich die Menschheit und die gesamte Biosphäre am Rande des Abgrunds befinden.
Aus Liebe und Respekt gegenüber der Schöpfung ist jegliche Art einer Ehrung oder Segnung der Jagd unvertretbar. Die Kirche sollte das Leben und nicht das Töten ehren und lieber die Menschen segnen, die sich alltäglich für das Leben unserer Mitgeschöpfe einsetzen, statt sie in ihrer Freizeit zu töten.
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Dr. Anna Scholz
Sehr geehrter Herr Dr. Steverding,
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Selbstverständlich „ehren“ wir als Kirche „das Leben“ und nicht „das Töten“.
Ihre Sorge um „Lebensraumzerstörung“ kann ich sehr gut nachvollziehen.
Seien Sie hiermit herzlich zum Gottesdienst eingeladen.
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Lovis Kauertz
Sehr geehrte Frau Dr. Scholz,
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In der Ankündigung der Hubertusmesse in Mainz durch den Deutschen Jagdverband heißt es: „Pfarrerin Dr. Anna Elisabeth Scholz wird unter anderem auf die große Verantwortung von Jägerinnen und Jäger für den Erhalt der Biodiversität und des ökologischen Gleichgewichts eingehen.“
Könnten Sie uns als Jägerin wenigstens kurz erläutern, wie die Jägerschaft in den letzten vier Jahrzehnten „ihrer Verantwortung“ für den Erhalt der Biodiversität und des ökologischen Gleichgewichts nachgekommen ist. Liegen Ihnen belastbare und neutrale Studien vor, die das für Deutschlands Freizeitjäger belegen? Oder ist es nicht etwa so, dass das Thema Naturschutz den Jagdverbänden – wie es inzwischen doch auch viele Jäger öffentlich benennen – als Kosmetik gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit fungiert.
Wir haben anhand der seit Jahrzehnten rückläufigen Artenvielfalt – allein unter den von Jägerinnen und Jägern zu verantwortenden jagdlichen Tierarten – eher den Eindruck, dass dieser Verantwortung trotz Abermillionen erlegter und anschließend entsorgter Füchse, Dachse, Marder nicht einmal annähernd gerecht wurde. Vielmehr würden wir den Eingriff von Teilen der Jägerschaft in die Ökoysteme, wenn zum Beispiel gezüchtete Enten oder Fasane zum Zweck der Jagd ausgesetzt werden oder durch die Jagd auf Füchse und andere Tierarten die innerartlichen Sozialgefüge zerstört werden, als Faunenverfälschung bezeichnen. Mit dem Erhalt von ökologischem Gleichgewicht hat das wohl eher nichts zu tun.
Als bezeichnend für einen großen Teil der Jägerschaft ist dieses Zitat der Jäger und Jagdfilmproduzenten Ralf Bonnekessen und Rouven Kreienmeier im „Jagd und Hund“-Podcast vom 24. Januar 2024:
„Es ist ganz ganz wichtig, dass wir dazu stehen, dass wir in den Wald gehen, um zu töten. Wir müssen schon dazu stehen, dass es unser Ziel ist, Beute zu machen. Wenn mein Ziel nicht ist, Beute zu machen, dann gehe ich nicht jagen, sondern dann gehe ich Hochsitze bauen oder Hunde ausbilden oder sonst was. Das primäre Ziel ist Beute machen. Ich finde, wir dürfen die Leute nicht verarschen. Man muss halt dazu stehen, man muss sagen: Ja, Jagen macht mir Spaß. Das Wild, was da vor mir liegt, hinterlässt bei uns Jägern ein wohliges Gefühl, weil wir an das letzte Jagderlebnis denken. Aber wenn man es erst einmal erlebt hat, wird man feststellen, dass man nie so bei sich war, wie in diesem Moment. Dieses Gefühl zu erleben, gönne ich eigentlich jedem. …“
Dr. Anna Scholz
Sehr geehrter Herr Kauertz,
danke für Ihr Schreiben. In der Tat halte ich es für wichtig, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass wir Menschen in der von uns bewohnten und bewirtschafteten Kulturlandschaft eine Verantwortung für das Miteinander der Lebewesen haben – theologisch gesprochen „der Geschöpfe“. Das betrifft sowohl Jägerinnen und Jäger, als auch andere, die sich in Vereinen und Verbänden für Natur- und Artenschutz einsetzen – ja, im Grunde uns alle.
Für Jägerinnen und Jäger gilt als ethische Voraussetzung ihres Handelns der Grundsatz der Waidgerechtigkeit, der auch rechtlich im Bundesjagdgesetz verankert ist. ...
Ich erlebe in meiner persönlichen jagdlichen Praxis überwiegend Jäger*innen, die dies sehr ernst nehmen und lege hierauf auch in der Ausbildung von Jungjägerinnen und Jungjägern besonderen Wert – freilich mag es Ausnahmen geben, wie überall, wo Menschen am Werk sind. Gerade deswegen bedeutet es mir, auch als Pfarrerin, viel, sich sehr klar bewusst zu machen, dass es sich bei Wildtieren um Mitgeschöpfe handelt, denen auch auf der Jagd sorgsam und mit Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben zu begegnen ist.
Ich selbst habe in meinem Umfeld schon an mehreren Kooperationen zwischen Jäger*innenschaft und Protagonist*innen aus Naturschutzvereinigungen mitgewirkt, u. A. zum Beispiel vor einigen Jahren im Rahmen eines wissenschaftlichen Monitorings des Bestands der Europäischen Wildkatze, die erfreulicherweise wieder verstärkt ansässig geworden ist.
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