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Prof. Dr. Josef Reichholf

Welche Auswirkungen hat die Jagd auf das ökologische Gleichgewicht?

Hören - Das ökologische Gleichgewicht ist eine Vorstellung, welche die Jäger selbst dazu entwickeln, welche Wildarten in welchen Bestandsgrößen in ihren Revieren leben sollen. Mit einem sich ohne jagdliche Eingriffe einstellenden, dynamischen Naturzustand (der meist mit dem Ausdruck „ökologisches Gleichgewicht“ gemeint wird) hat das wenig bis nichts zu tun. Denn es liegen Nutzungsinteressen zugrunde, und nicht etwa eine sich möglichst selbst regulierende Natur. Infolgedessen haben Naturschützer andere Vorstellungen vom ökologischen Gleichgewicht als Jäger. Der Zustand, der sich ohne nutzungsorientierte Eingriffe seitens der Jäger einstellt, kommt einem natürlichen ökologischen Gleichgewicht auf jeden Fall näher als ein von jagdlichen Interessen gelenkter.

Nach dem Willen der Jagdverbände sollte "Raubwild" dezimiert werden, Bild: Gunther Kopp

Die öffentlichen Interessen in Bezug auf Biodiversität, speziell Artenreichtum, differieren sehr stark bezüglich der bejagbaren Arten und ihrer Häufigkeit. Denn diese werden von den Jägern so zu steuern versucht, dass die Bestände des Nutzwildes (Reh, Hirsch, Wildschwein, Niederwild) möglichst groß sind und bleiben, während die in der Jägersprache „Raubwild“ und „Raubzeug“ genannten Arten dezimiert bis lokal/regional oder großflächig ausgerottet wurden bzw. an ihrer Wiederausbreitung gehindert werden (Luchs, Wolf, Braunbär bezüglich der Wiederkehr; Fuchs, Marderarten und größere/große Greifvögel sowie die Krähenvögel bezüglich der Häufigkeit). Artenzusammensetzung und Häufigkeit der verschiedenen Wildarten weichen daher in so gut wie jedem Jagdrevier grundsätzlich von einem Zustand ab, der sich ohne Bejagung einstellen würde. Hinzu kommt, dass die Bejagung die davon betroffenen sowie ihnen ähnliche, jedoch vollständig geschützte Arten (sehr) scheu macht, so dass sie für die Öffentlichkeit kaum/schlecht oder nur auf größere Entfernung zu beobachten und erleben sind. Jagd macht das Wild scheu. Das hat auch Konsequenzen auf die ökologischen Wirkungen der dadurch scheu gemachten Arten: Die Mehrzahl (Säugetiere; jagdlich: Haarwild) versucht sich durch weitgehende nächtliche Aktivität den jagdlichen Nachstellungen zu entziehen (stark erhöhtes Risiko von Wildunfällen, wenn die Tiere in der späten Dämmerung und nachts über Straßen wechseln). Teile des möglichen Lebensraumes der bejagten Haarwild- und Vogelarten können wegen der übergroßen Scheu von diesen Tieren nicht genutzt werden. Das macht einerseits die seltenen Arten noch seltener und fördert andererseits die Wildschäden durch Ansammlung des Wildes in störungsarmen Zonen. Solche versuchen viele Jäger mithilfe von Fütterungen / Kirrungen einzurichten.

Trophäenträger sind gerne gesehen, am liebsten vor der Büchse, Bild: Luise Dittombée

Wildschäden, die über Bagatellschäden hinausgehen, verursachen die jagdlich gehegten „Schalenwildarten“ (Wildschwein, Reh, Rothirsch sowie lokal einige andere Arten), deren Bestände entweder aufgrund direkter Hegemaßnahmen (Fütterungen, speziell im Winter; Hegeabschüsse zur Bestandsaufbesserung etc.) überhöht sind (Schalenwildproblem, seit Jahrzehnten ungelöst, da die Bestände auf hohem Niveau bleiben, weil sie durch jagdliche Maßnahmen dort gehalten werden) oder, wie im Fall des Wildschweins, großräumig von der massiven Ausweitung des Maisanbaus profitieren (Mais = Schweinefutter) und es in der entscheidenden Zeit des starken Anwachsens der Wildschweinbestände viel zu geringen Abschuss gegeben hatte, weil nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ihr Fleisch zu stark radioaktiv kontaminiert war. Die Jagd versucht zwar über Abschussplanung das Schalenwildproblem in den Griff zu bekommen, jedoch offenbar unzureichend, da dieses Problem auch nach Jahrzehnten alles andere als gelöst ist. Der Artenreichtum hat hingegen bei jenen Arten/Gruppen zugenommen, die in der jüngeren Vergangenheit von der Jagd ausgenommen und unter Schutz gestellt wurden, wie bei den (größeren/großen) Greifvögeln (Adler, Großfalken), Reihern und einigen anderen Arten. Ohne die Unterschutzstellung auf EU-Ebene hätte der Wolf keine Chance auf eine Rückkehr gehabt. Das Schicksal von Luchs oder des wieder zuwandernden Goldschakals hängt nicht von der Eignung der Kulturlandschaft für diese Arten ab, sondern davon, ob die Jäger sie überleben lassen. Die verbreitete Ablehnung der Rückkehr „großer Beutegreifer“ und die sehr oft völlig ungerechtfertigten Abschüsse von Hunden und Katzen drücken ganz klar aus, dass das jagdliche Ziel nicht die Vermeidung von Wildschäden oder die Regulierung der Wildbestände auf das ökologisch richtige Niveau ist.

In Deutschland dürfen erst seit 1972 keine Greifvögel mehr gejagt werden. Bild: Berndt Fischer Abgesehen von der Gewinnung von Wildfleisch (Wildbret) und in Einzelfällen von Sonderabschüssen gibt es also kein öffentliches Interesse, das die Jagd zu erfüllen hätte. Selbst die Minderung bzw. Vermeidung von Wildschäden, die Besitzer von Grund und Boden fordern, gelingt im österreichischen und deutschen Revierjagdsystem offensichtlich bei weitem nicht so wie angestrebt.

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