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Torsten Schmidt

Vogeljagd: Mit Wertevorstellungen des Tierschutzes nicht vereinbar

Hören: Jährlich finden in Deutschland bis zu zwei Millionen Wildvögel im Rahmen der Jagd den Tod. Darunter sind etwa 370.000 Wildtauben, 450.000 Wasservögel und über eine halbe Million Rabenvögel inklusive Eichelhähern, dazu Kormorane und Höckerschwäne und 300.000 Wasservögel, die zunächst nur einige Schrotkörner abkriegen, aber daran sterben. Ob es für diese massenhafte Tötung einen „vernünftigen Grund“ im Sinne des Tierschutzgesetzes gibt, ist mehr als fraglich. Denn Tierschutz und Nutzungsinteressen müssen gegeneinander abgewogen werden, wobei der Tierschutz nicht automatisch nachrangig bewertet werden darf. Auch müssen die eingesetzten Methoden der Jagd hinterfragt und die Ergebnisse regelmäßig evaluiert werden.


Waldschnepfe Hobbyjagd verbieten
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Welche Gründe werden für die Verfolgung „schädlicher“ Vogelarten genannt?

Schon 1991 beschäftigte sich ein Sachverständigengremium im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums mit der Frage: „Müssen wir Tiere gleich töten?“ – Maßnahmen zur Vermeidung überhandnehmender Säugetiere und Vögel. Bestandsaufnahme, Berechtigung und tierschutzrechtliche Bewertung.“

Die Liste der in diesem Gutachten genannten Vogelarten, deren Verminderungsnotwendigkeit diskutiert wurde, erstaunt aus heutiger Sicht aus mehreren Gründen. So fehlt dort die Gruppe der Gänse, die heutzutage massiv bejagt wird, weil sie für Schäden in der Landwirtschaft verantwortlich gemacht wird. Andererseits wurde die Schädlichkeit von Vogelarten diskutiert, deren Verfolgung heute schwer vorstellbar wäre, wie Amsel, Star, Haussperling, Gimpel oder Wacholderdrossel. Und daneben gibt es im Gutachten auch Vogelarten, die bis heute einen schlechten Ruf haben, ja teilweise tiefe Hassgefühle auslösen. So wird der Kormoran auch schon mal als „Unterwasserterrorist“ bezeichnet. Und auch die „schwarzen Gesellen“, die Rabenvögel teilen mit den Kormoranen manchmal das gleiche Schicksal, wenn diese zur vermeintlichen Abschreckung illegaler Weise erhängt oder an Kreuze genagelt werden. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass - ebenfalls rechtlich völlig unzulässig - auch unliebsame Greifvögel im nennenswerten Umfang vergiftet und abgeschossen werden. Nach Schätzungen des NABU und von Tierschutzorganisationen werden jährlich 50.000 bis 100.000 geschützte Vögel „versehentlich“ im Rahmen der Jagd getötet. Welche Gründe der Verfolgung werden von Jägern genannt?

  • Störung des biologischen Gleichgewichtes durch Überpopulation

  • Mitverantwortlich für Rückgang des so genannten Niederwildes, also bestimmten Arten die dem Jagdrecht unterliegen

  • Gefährdung seltener Fisch- und Vogelarten

  • Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen

  • Schäden bei landwirtschaftlich gehaltenen Tieren

  • Schäden an Teichwirtschaften durch große fischfressende Vogelarten

  • Gesundheitliche Gefährdungen (Vogelkot)

  • Gefährdung des Flugverkehrs durch Vogelschlag

  • Belästigung: Ängste beim Anblick von großen Schwärmen; Vogelgesang

​Die Problematik ist erkennbar vielschichtig, so dass der pauschale Abschuss der betreffenden Vogelarten, wie er durch das Jagdrecht praktiziert wird, auch keine Patentlösung darstellen kann.

Festzustellen ist:

  • ​Vogelbestände vermehren sich nicht uferlos, sondern die Bestandsentwicklung und die Siedlungsdichte von Vogelarten hängen in erster Linie vom Lebensraum ab. Dennoch wird bspw. der Kormoran weiterhin stark verfolgt, obwohl er in Deutschland die Kapazitätsgrenzen seines Lebensraums erreicht hat, somit auch die innerartliche Konkurrenz zunimmt und daher nicht mehr mit relevanten Wachstumsraten zu rechnen ist.

  • Vogelarten werden selbst dann bejagt, wenn die von ihnen angerichteten Schäden gering sind, also keine gemeinwirtschaftliche Dimension haben. Häufig kann die Schädlichkeit bestimmter Vogelarten nicht einmal belegt werden, sie wird nur vermutet. Beispielsweise werden in vielen Bundesländern auch Schwäne geschossen, die sich – wie die meisten jagdlich getöteten Vogelarten - nicht einmal zum Verzehr eignen.

  • Der Rückgang vieler heimischer Arten hat seine Ursache nicht aufgrund einer vermeintlichen Überpopulation bestimmter Vogelarten, sondern ist in erster Linie ein vom Menschen gemachtes Problem. Als Stichworte seien nur genannt: Intensive Landnutzung, Einträge von Umweltgiften, Entwässerungen von Flächen, Landschaftsverbrauch, Klimawandel.

  • Eine Überprüfung, ob die Jagd zu einer Verbesserung der zuvor kritisierten Situation geführt hat, findet meist nicht statt. Somit fehlt auch die Gewissheit, ob die Jagd überhaupt ein geeignetes Mittel darstellt.

  • Tierschutzgerechte Alternativen (also Lösungsstrategien, ohne die Tiere zu töten) bleiben häufig ungenutzt, weil diese häufig mit Geld und Aufwand verbunden sind. Dass solche Alternativen aber funktionieren können, zeigen viele Kommunen, die den Umgang mit Stadttauben zunehmend tierschutzgerecht gestalten.

  • Die pauschale Jagd ist keine professionelle Methode eines wildbiologischen Managements. Die EU-Kommission hat bereits 2009 im Rahmen der Erläuterung der EU-Vogelschutzrichtlinie vielmehr festgestellt, dass die Jagd in Europa hauptsächlich als Freizeittätigkeit betrieben wird und in der Regel nicht zur Regulierung von Populationen dient. Der Abschuss von Vogelarten kann Bestände also bestenfalls zeitweise dezimieren, eine Regulation der Bestände durch die Jagd ist jedoch nicht möglich.

Sind die Methoden der Vogeljagd geeignet, Probleme tatsächlich spürbar zu entschärfen?

  • Zahlreiche Vogelarten, insbesondere Rabenkrähen, Ringeltauben und Wasservögel werden in der Regel beschossen, wenn sie im Schwarm fliegen. So werden Schätzungen zur Folge bei der Jagd mittels Schrotschusses bis zu 30 Prozent der Vögel nicht unmittelbar getötet, sondern „krankgeschossen“, sprich verletzt.

  • Anstatt den Schrotschuss grundsätzlich in Frage zu stellen, wird die o.g. „Randschrotproblematik“ von den Verbänden für Jagdgebrauchshunde zum Anlass genommen, die Prüfung von Jagdhunden auf der Schwimmspur hinter einer flugunfähig gemachten lebenden Ente zu rechtfertigen. Die Ausbildungs- und Prüfungsmethoden fügen den verwendeten Enten, immerhin einige Tausend Tiere pro Jahr, beim Verfolgen durch den Jagdhund erheblichen Stress, Schmerzen und Schäden zu. In den meisten Bundesländern werden die Enten zuvor flugunfähig gemacht, was die Tierschutzrelevanz der Methode noch verstärkt.

  • Vögel fliegen oft in gemischten Schwärmen, so dass der Abschuss von Vögeln, die keine Jagdzeit haben, billigend in Kauf genommen wird.

  • Die Vogeljagd, insbesondere an Gewässern, entwertet die Gebiete auch für andere Vogelarten durch die massiven Störungen.

  • Die Verfolgung von Vögeln führt teilweise zu Ergebnissen, die nicht angestrebt werden; bspw. erhöht die Jagd auf Rabenkrähen den Anteil von Nichtbrütern und kann somit den Bestand insgesamt anwachsen lassen; bei der Jagd auf Kormorane an Gewässern werden diese aufgeschreckt, verlieren dadurch wertvolle Energie und fliegen hungriger als vorher in benachbarte Gebiete.

  • Sehr viele Vogelarten, die bejagt werden, sind Zugvogelarten. Somit sind dauerhafte und nachweisbare Effekte mit der Jagd kaum zu erzielen.


Jagdliche Verfolgung von Vogelarten politisch gewollt

Leider muss man sich der Tatsache stellen, dass allein eine ökologische oder tierschutzethische Betrachtung über Sinn und Unsinn der Vogeljagd nicht ausreicht. Die jagdliche Verfolgung von Vogelarten hat eine enorme politische Dimension. Dies zeigt sich insbesondere bei der Verfolgung von Rabenvögeln:

  • ​Im Herbst 1994, als sich in Rheinland-Pfalz die Absicht des Ministeriums für Umwelt und Forsten abzeichnete, die beiden Singvogel-Arten Elster und Rabenkrähe aus dem Naturschutzgesetz mit seinem ganzjährigen Schutz in das Jagdgesetz mit seiner Festlegung von Abschusszeiten und Schonzeiten zu überführen, wurden die Universitäten Mainz und Kaiserslautern beauftragt, entsprechende Untersuchungen anzustellen. In einer dreijährigen Untersuchung stellte man fest, dass weder im Rahmen der eigenen Untersuchungen noch durch Fremd- bzw. Literatur-Angaben erhebliche landwirtschaftliche Schäden durch Elster oder Rabenkrähe bestätigt werden. Schäden in Zusammenhang mit der Schafhaltung existieren nachweislich nicht, sondern stellten sich als ein Produkt der Sensationspresse heraus. Elstern spielen in Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Schäden überhaupt keine Rolle. Ohne jedoch die Ergebnisse des Endberichts des "Rabenvögel-Gutachtens" abzuwarten, wurde wenige Tage vorher vom Ministerium für Umwelt und Forsten bereits der Entwurf einer Verordnung zur Überführung von Elster und Rabenkrähe in das Jagdgesetz veröffentlicht. Und dies geschah ohne die vorherige, eigentlich selbstverständliche Hinzuziehung der Fachbehörde wie der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland in Frankfurt/Main. Ungeachtet fehlender fachlicher Gründe, werden bis heute Rabenvögel in den meisten Bundesländern zu Hundertausenden bejagt.

  • In den Jahren 2004-2005 untersuchte die Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo), ob sich die Bestände von Wiesenvögeln erholen, wenn massenhaft Rabenvögel getötet werden. Dazu wurden mehr als 12.000 Rabenkrähen und Elstern von Jägern gefangen und anschließend mit Knüppeln erschlagen. Gefangen wurden die Tiere mit EU-weit verbotenen Krähen-Massenfangfallen. Da keine Analysen der Bestände von Wiesen- und Rabenvögeln zuvor durchgeführt wurde und auch keine Paralleluntersuchungen auf Vergleichsflächen stattfanden, entlarvte sich diese Studie als Versuch, EU-weit verbotene Vogelfallen ins Jagdrecht einzuführen. Erst aufgrund großer Proteste der Tier- und Naturschutzverbände, fachlicher Gutachten und einer angedrohten Beschwerde bei der EU-Kommission wurde das Projekt schließlich vom Niedersächsischen Umweltministerium auf Eis gelegt.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die derzeitige Jagd auf Vögel in Deutschland keinen verantwortbaren Lösungsansatz darstellt, um bestehende Konflikte zwischen Menschen und Wildvögeln zu entschärfen, sondern mit dem Wertevorstellungen des Tierschutzes unvereinbar ist. Sinnvoller wäre es die dem Jagdrecht unterliegenden Vogelarten ausschließlich dem Naturschutzrecht zu unterstellen. Selbst im Falle eines angenommenen gemeinwirtschaftlich relevanten Schadens könnte mit diesem Rechtsinstrument die Notwendigkeit, die Effektivität als auch die Tierschutzkonformität von Gegenmaßnahmen geprüft werden.




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