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  • Stephan Schulz

„Wolfsattacke“ verkommt zum politischen Theaterspiel

Der Aufschrei nach dem angeblichen Wolfsangriff auf einen Friedhofsgärtner in Niedersachsen war nicht zu überhören und zu übersehen. Damit einhergehend auch der gigantische Interessenkonflikt, der Teile unserer Gesellschaft zu scheinbar völlig irrationalen, voreiligen und unsachlichen Schlussfolgerungen verleitet. Seit Dienstag ist nun klar, dass es keinerlei Nachweise für einen Wolfsangriff gibt. Doch wer Einsicht oder Klarstellungen erwartet hat, wurde mal wieder enttäuscht. Stattdessen zeigt sich auch beim Wolf der generelle Trend zu Verschwörungstheorien und der sehr vielfältigen Interpretation von Fakten.

Der ersehnte Moment

„Wolfsangriff in Niedersachsen“! In der öffentlichen Debatte war schon lange zu erkennen, wie sehr sich manche Menschen nach dieser Nachricht sehnten. Es gibt Schäfer, die sich sogar vor laufender Kamera einen Wolfsangriff auf Kinder von Wolfsbefürwortern wünschten.

Man kann sich ausmalen, welche Mühlen in Gang gesetzt worden wären, wenn der Vorfall in Niedersachsen der erste nachgewiesene „Wolfsangriff“ gewesen wäre. Meine Anführungszeichen sind kein Zufall, denn selbst wenn es den Nachweis einer Wolfs-DNA gegeben hätte, weigere ich mich bei diesem angeblichen Vorfall von einem Angriff zu sprechen.

Wer sich ein bisschen mehr mit dem Verhalten junger Wölfe beschäftigt weiß, dass sie neugierig sind und einen auf dem Boden knienden und von sich abgewandten Menschen nicht als solchen identifizieren. Ich jedenfalls hätte nicht ausschließen wollen, dass es wirklich ein Wolf war, aber würde zumindest einen Angriff ausschließen. Die Neugier von Jungwölfen ist aber schon seit der Rückkehr des Wolfs ein häufiger Auslöser für Missverständnisse und Fehleinschätzungen.

Doch wenn wir ehrlich sind, führen wir hier auch eigentlich keine Sicherheitsdebatte. In Deutschland lechzen wir zwar gerne nach 100 Prozent Sicherheit, aber die aktuelle Debatte wird nicht durch ängstliche Menschen angeheizt.

Es sind Menschen, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen. Es geht um Geld, Mehraufwand, finanzielle Unsicherheit und natürlich auch Wählerstimmen. Jeder von uns könnte im Handumdrehen mindestens fünf Gefahren in unserer Natur nennen, die um ein Vielfaches größer sind, aber eben nicht im Konflikt mit anderen Interessen stehen.

Wolf im Schnee

Politiker wie Niedersachsens SPD-Umweltminister Lies öffnen Verschwörungstheoretikern Tür und Tor. Bild: Stefan Suittenpointner

Eindeutig uneindeutig?

Erschreckend muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies mal wieder nicht zum Wolf bekennt und die Debatte damit erneut anheizt. Freund einer lebhaften Debatte ist er. Da habe ich keinen Zweifel dran, denn mit der Aussage, dass er sich „ein eindeutigeres Ergebnis gewünscht hätte“, hat er es mal wieder versäumt Ruhe und Sachlichkeit in die Debatte zu bekommen.

Nochmal kurz den Fakten: Es wurden mehrere Haar- und Speichelprobem vor Ort entnommen, von denen aber keine Probe einem Wolf zuzuordnen war. Nicht nur an der Wunde des Mannes, sondern vom gesamten Friedhofsgelände hat man Spuren gesichert.

Herr Lies stellt nun das Ergebnis als unsicher dar, weil die Wunde bereits ausgewaschen und über 24 Stunden alt war. Die Tatsache, dass aber auch sonst nirgendwo auf dem Friedhof ein einziges Haar von einem Wolf gefunden wurde, erscheint nicht erwähnenswert. Hiermit eröffnet Herr Lies Verschwörungstheoretikern mal wieder Tür und Tor, anstatt ein eindeutiges Ergebnis anzuerkennen.

Man muss sich ernsthaft fragen, auf welchen eindeutigeren Nachweis Herr Lies eigentlich gewartet hat? Ein Umweltminister, der sich einen Wolfsangriff wünscht. Anders kann man das gar nicht mehr interpretieren. Taktik statt Strategie. Populismus statt Aufklärung. Partei- statt Sachpolitik. Heutzutage nichts Neues, oder?

Mein Mitleid, dass Herr Lies nun keine noch stärkere Anti-Wolfs-Kampagne fahren kann, hält sich auf jeden Fall sehr in Grenzen. Und doch gelingt es ihm, mit seinen verschwommenen Aussagen eine weitere Scheindebatte in Gang zu bringen.

Die Liste an Vorurteilen über den Wolf ist lang. Bild: Michael Hamann

Nach Lügenpresse nun Lügeninstitut?

Eine Scheindebatte, die irgendwie typisch für unsere heutige Gesellschaft in Zeiten der sozialen Medien und auch typisch für die Diskussion um den Wolf ist.

Die Liste an Vorurteilen über den Wolf ist lang. Viele Thesen wurden aufgestellt und doch hat sich irgendwie keines dieser Vorurteile so wirklich in die Realität umwandeln können. Von Naturschützern wurde er ausgesetzt. Den Wald würde er leer fressen. Kindern an Bushaltestellen auflauern. Menschen am Spaziergang im Waldern hindern. Touristen aus ländlichen Gegenden vertreiben und auch uns irgendwann als Hauptmahlzeit ansehen.

Die Realität sieht so aus: Der Wolf ist nachweislich von alleine wieder nach Deutschland gekommen. Die Wildbestände sind so hoch wie nie. Kinder können weiterhin zur Schule und Erwachsene weiterhin spazieren gehen. Kein Mensch in Deutschland wurde je von einem Wolf angegriffen und die deutsche Natur erlebt einen regelrechten Tourismus-Boom.

Es muss manchmal schon sehr frustrierend sein, wenn man so viele Theorien hat, die sich am Ende aber nie als Wahrheiten herausstellen. So auch am Dienstag, als eine neue Hoffnung mal wieder im Keim erstickt wurde.

In Zeiten, in denen populistische Forderungen zum Trend geworden sind, entfernt man sich aber auch immer mehr davon, Fakten als Fakten zu akzeptieren. Selbst das Misstrauen gegenüber unabhängigen Institutionen wächst stetig an. Ich sehe diese Entwicklung schon lange sehr kritisch.

Und so überrascht mich die aktuelle Folgedebatte nach Bekanntwerden der DNA-Analyse schon gar nicht mehr. Wenn jemandem ein Ergebnis heutzutage nicht passt, muss erstmal grundsätzlich derjenige in Frage gestellt werden, der das Ergebnis veröffentlicht hat.

Nun ist es halt das Senckenberg Institut. CDU-„Umweltexperte“ Martin Bäumer ist ja schon länger als lautstarker Wolfsgegner bundesweit bekannt. Auch hier bleibt er seiner Linie treu und bezweifelt nun, dass das Senckenberg Institut das richtige Institut für die Untersuchung von angeblichen Wolfsangriffen ist. Herr Bäumer wünscht sich stattdessen zukünftig forensische Institute mit in die Beweisaufnahme aufzunehmen.

„Durch ein forensisches Institut wäre auch eine rechtssichere Rekonstruktion

des Angriffs anhand von Blutspritzern und ähnlichen Indizien möglich

gewesen.“ Martin Bäumer (CDU)

Da ist er wieder. Ich möchte ihn mittlerweile nur noch liebevoll Blutspritzer-Martin nennen. „Blutspritzer“ scheint bei ihm jedenfalls in keinem Satz fehlen zu dürfen, wenn es um den Wolf geht. Hat er doch vor wenigen Wochen erst im niedersächsischen Landtag davon berichtet, dass das Blut der Weidetiere bis an die Häuserwände spritzt.

Nach solchen Vorbildern lechzt das Anti-Wolfs-Klientel regelrecht. Es ist schon erstaunlich wie häufig die beiden Worte „forensische Institute“ alleine in den letzten zwei Tagen gefallen sind. Als hätten wir seit Jahren über nichts anderes diskutiert als Forensik. Schon verblüffend wie sich der Schwerpunkt einer Diskussion immer wieder verlagern kann.

Doch dieses Theaterspiel reiht sich nur in die vielen verzweifelten Versuche ein, die Akzeptanz des Wolfs weiter zu beschädigen und eigene Interessen durchzusetzen. Schlicht und einfach ein neuer Anker im immer stärker werdenden Sturm.

Wenn einem in diesem Sturm immer wieder Fakten um die Ohren fliegen, welche der eigenen Weltanschauung widersprechen, muss man sich neue Mittel und Wege suchen. Die Frage ist, wie lange das noch glaubwürdig ist? Mit der neuesten Entwicklung haben sich die Wolfsgegner nun endgültig aus einer sachlichen Debatte verabschiedet. Erfreulicherweise bemerken dies auch einige Medien und schlagen nicht in die gleiche Kerbe.

Doch der nun eingeschlagene Weg wird wieder dazu führen, dass wir uns in Zukunft häufiger auf Theorien wie „Senckenberg wird vom NABU bezahlt“ freuen dürfen. Die Diskussion dreht sich damit – wie schon seit Jahren – weiter im Kreis. Glückwunsch an die Herren von SPD und CDU! Mittlerweile muss man sich wirklich fragen, ob das Schüren von Unsicherheiten und Ängsten zur Hauptaufgabe eines Politikers gehört. Ich werde den Eindruck nicht los.

Mit der neuesten Entwicklung haben sich die Wolfsgegner nun endgültig aus einer sachlichen Debatte verabschiedet. Bild: Stefan Suittenpointner

Umweltkriminalität mal anders

Forensische Institute werden üblicherweise nur bei kriminellen Handlungen beauftragt. Doch wen überrascht das noch? Mittlerweile wird man ja das Gefühl nicht los, dass sogar Wölfe, die ein frei lebendes Reh gerissen haben, wie ein Straftäter behandelt und dargestellt werden. „Lieber Wolf: Bitte beim Nachstellen deiner Beute immer mindestens einen Kilometer Abstand zum nächsten Dorf einhalten. Alles andere zeigt, dass du deine Scheu verloren hast. Trotzdem heißen wir dich in Deutschland natürlich herzlich willkommen!“

Parallel zu solch banalen Gedankengängen wurde vor kurzem in Nordrhein-Westfalen (einer Hochburg der illegalen Wilderei auf Greifvögel) die von Grünen und SPD gegründete Stabsstelle gegen Umweltkriminalität von CDU und FDP aufgelöst. Nur ein verschwindend geringer Anteil der in Deutschland begangenen Straftaten gegen die Natur wurde überhaupt aufgeklärt, aber wir unternehmen nichts dagegen. Stattdessen suchen wir nun nach pelzigen Straftätern. Offenbar auch mit Mitteln, die jenseits jeglicher Rationalität liegen.

Wie naturfremd und interessengesteuert können wir eigentlich noch werden?

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Stephan Schulz ist leidenschaftlicher Tierfilmer. Einen Blog, Tier- und Naturfilme veröffentlicht er auf www.stephan-schulz-naturfilm.de.

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