Hören | Das von Dr. Martin Steverding kommentierte Video, in dem kurze Filmaufnahmen eines Fuchses in einer Schliefenanlage gezeigt werden, geht unter die Haut (s.u.). Machen diese wenigen Sekunden doch deutlich, welchem chronischen Stress die Füchse in ihrem kurzen Leben ausgesetzt sind.
Schliefenanlagen sind künstlich angelegte Gangsystemen, die einem Fuchsbau nachempfunden sind. Die Unterbringung der Füchse in kleinen Gehegen oder Zwingern entspricht fast nie den tierschutzrechtlichen Mindestanforderungen. Meist befinden sich die Anlagen gut getarnt auf den Grundstücken von Jagdterrier- oder Teckel-Clubs. [1]
Dort werden die Terrier oder Teckel an lebenden Füchsen für die Baujagd trainiert. Bei der Baujagd werden die Füchse, meist in der Zeit der Trächtigkeit, entweder von den Hunden mit Bissen gestellt oder von den Hunden aus dem Bau getrieben und dann von den Jägern erschossen. Eine wirklich perfide Art der Jagd, sollte doch der Fuchsbau der sichere Rückzugsort der Tiere sein.
In den mindestens 100 Schliefenanlagen Deutschlands werden Füchse als Ausbildungsköder gehalten. Dabei werden die Füchse in einen engen „Kessel“ getrieben, der mit einem Schieber von dem Gangsystem gesichert wird. Dort befinden sich die Hunde, die auf den Fuchs konditioniert werden sollen. Die Füchse in diesen Anlagen überleben zwar diese Prozedur, sind jedoch immer wieder aufs Neue Todesangst ausgesetzt.
Viele kennen das ethisch sehr bedenkliche Experiment von Martin Seligmann der 1967 das Konzept der erlernten Hilflosigkeit daraus abgeleitet hat. Dazu hat er u. a. Hunde Stromschlägen ausgesetzt, denen sie nicht entfliehen konnten. Ihre ohnmächtige Hilflosigkeit hielt auch dann noch an, als sie später die Möglichkeit gehabt hätten, den Stromschlägen zu entkommen.
Ganz ähnlich ergeht es den Füchsen in den Schliefenanlagen. Neben der Tatsache, dass sich die Füchse oft mehr als 20 Minuten in dieser Bedrohungslage befinden, sind zwei Dinge daran besonders perfide: Zum einen gibt es in der Schliefenanlage, auch trotz des Schiebers - nirgendwo einen sicheren Ort für den Fuchs und zum anderen kommt es in vermutlich unregelmäßigen und nicht abschätzbaren Abständen zu den immer wiederkehrenden Bedrohungen.
Auf eine Bedrohungslage gibt es bei Mensch wie Tier drei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Fight, Flight, Freeze. Entweder wir kämpfen, um uns zu verteidigen, wir fliehen oder wir erstarren/frieren ein. Dem Fuchs in der Schliefenanlage bleibt nur das Freeze, die letzte Möglichkeit unseres Körpers, die Bedrohung durch (gnädige) Dissoziation auszublenden, bis dazu hin, sich aufzugeben.
Dr. Martin Steverding beschreibt in der Aufnahme, die einen Fuchs in dem Kessel zeigt, sehr eindrücklich die erheblichen Stresssymptome: das heftige Muskelzucken und -zittern, die weit aufgerissenen Augen mit erweiterten Pupillen, das rasende Pulsieren der Halsschlagader, das „Stressgesicht“, das durch enorme Anspannung der Kopf- und Gesichtsmuskulatur entsteht.
Wiederholen sich diese Bedrohungslagen, ist das Tier in einem permanenten Alarmzustand. Jedes weitere Grundbedürfnis wie Fressen, Trinken, Ruhen, Schlafen, die Umgebung erkunden ist von da an dieser Überwachsamheit untergeordnet. Von Entspannung oder gar Spiel kann keine Rede mehr sein.
Stellen Sie sich vor, bei Ihnen wird eingebrochen. Sie können sich gerade noch in einen Kellerraum flüchten und die Tür hält den Einbrechern stand. Von nun an kommen Einbrecher in ganz unregelmäßigen Abständen zu unterschiedlichen Tag- und Nachtzeiten. Bekommen Sie eine Vorstellung davon, wie es den Füchsen ergeht und welchen Unterschied es zwischen chronischem und akutem Stress gibt?
In Erwartung der kommenden Bedrohung versuchen die Füchse, sich zu weigern, in den Kessel zu gehen. Dann werden sie meist mit Stöcken oder Ähnlichem dahingetrieben. Sie sind also in keiner Weise in der Lage, für sich selber wirksam zu werden. Das ist erlernte Hilflosigkeit!
Als Vergleich zur erlernten Hilflosigkeit der gefangenen Schliefenfüchse möchte ich ein gewissermaßen idealisiertes Beispiel zwischen Wolf und Reh aus der Natur bringen.
Aufgrund der aktuellen Lebenssituation unserer Wildtiere in stark übernutzter Landschaft muss diesem Beispiel allerdings hinzugefügt werden, dass die Situation für Rehe „in Freiheit“ weniger intakt ist, als viele Menschen vermuten. Die kleinen Huftiere leben als Fluchttiere in nahezu permanentem Stress. Sie können sich, obgleich sie Ruhephasen als Wiederkäuer dringend brauchen, kaum noch zurückziehen, da ihre Lebensräume immer kleiner, zerschnittener und unruhiger werden. Weicht ein Reh einem Hund aus, gerät es leicht auf eine befahrene Landstraße oder in einen Zaun. Ganz zu schweigen vom ständigen Jagddruck rund um die Uhr und zahlreichen Menschen, sowohl Jagenden als auch nicht-Jagenden in seinem Habitat. Wildtiere leben bei uns in einer „Landschaft der Angst“. Diese beeinflusst ihr Raum-Zeit-Verhalten immens.
Im Folgenden soll aber nicht der chronische Stress der Rehe untersucht werden, sondern die Situation eines Auslösers von akutem Stress als Gegenbeispiel zu unserem Schliefenfuchs illustriert werden.
Nehmen wir also zum Beispiel Rehe, die vom Wolf gejagt werden. In dieser Situation wird auch ein Höchstmaß an Stresshormonen ausgeschüttet. Die Rehe fliehen, zu kämpfen würde in diesem Fall keinen Sinn ergeben. Nehmen wir an, ein Reh wird überwältigt. Es friert ein. Die Überflutung mit Stresshormonen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem dissoziativen Zustand führen, das bedeutet, das Erleben, die Wahrnehmung, der nicht aushaltbare Schmerz werden vom Fühlen abgespalten. In diesem Falle wäre die Dissoziation eine Form von Gnade, die uns die Natur angesichts des unausweichlichen Todes vorbehält.
Nehmen wir nun an, dass ein besonders glücklicher Umstand dem Reh jedoch dazu verhilft, im letzten Augenblick dem Wolf zu entkommen. Nach der geglückten Flucht wäre das Reh vermutlich noch viel aufmerksamer und würde sein Verhalten auf ähnliche Gefahrenlagen hin anpassen. Das bedeutet aber auch, in den Zeiten, in denen keine Gefahr droht, kann das Reh in Ruhe fressen und erholsam in seiner für Rehe üblichen halbwachsamen Art schlafen. Dieses Reh und auch die anderen, die fliehen konnten, erfahren das, was wir beim Menschen als Selbstwirksamkeit bezeichnen, somit das Gegenteil zu der erlernten Hilflosigkeit. In der Folge verbessern sich seine Fähigkeiten, mit der Gefahr umzugehen.
Ganz anders beim Fuchs in der Schliefenanlage. Die chronifizierte Ausschüttung von Stresshormonen führt zwangsläufig zu gravierenden körperlichen Beeinträchtigungen. Infolge der Überwachsamkeit (Hypervigilanz) erhöht sich der Muskeltonus dauerhaft. Erholsame Ruhe- und Schlafphasen sind nicht mehr möglich. Die Folgen sind z. B. erhöhte Infektanfälligkeit, chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Verdauungsorgane und der Atemwege. Verhaltensauffälligkeiten wie z. B. das Hin-und-Her- oder Im-Kreis-Laufen bis hin zur Selbstverstümmelung sind der hilflose Versuch, das in seinem Körpergedächtnis gespeicherte wiederkehrende Trauma loszuwerden.
Leider ist dieses Leiden ein stummes Leiden der Füchse. Werden sie doch zu einem Ausbildungsobjekt instrumentalisiert. Das besonders Grausame dabei ist, dass diese Füchse dazu benutzt werden, dass Hunde ihre freilebenden Artgenossen auf brutale Art in ihrem Bau jagen, der eigentlich ihr sicherer Rückzugsort für die Zeit der Trächtigkeit, Geburt und Welpenaufzucht darstellt.
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