Hören - Zweifellos ist der Schutz des Klimas eine der wichtigsten Aufgaben unserer Gesellschaft. Sie sollte möglichst wirksam und zügig realisiert werden. Da Wälder Treibhausgase binden und in Biomasse verwandeln, spielen sie eine wichtige Rolle beim Klimaschutz. Gleichzeitig kann die Nachfrage in Deutschland und weltweit nach dem Rohstoff Holz derzeit nicht nachhaltig gedeckt werden [1]. Es macht also durchaus Sinn, den Schutz und die Nutzung von Wäldern und Forsten im Hinblick auf den Klimaschutz neu auszuhandeln.
Von Waldbesitzern und der Forstindustrie gefordert und von der Politik umgesetzt, sollen dafür zunehmend heimische Huftiere wie Reh oder Hirsch eliminiert werden. Um für die intensive Jagd Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten, werden die Tiere, besonders Rehe, als fast ausschließlich junge Bäume vertilgende, gefräßige Waldgefährdung dargestellt, die der Entwicklung klimastabiler Wälder im Wege stehen. Die extremen jagdlichen Eingriffe sind im Hinblick auf den Tierschutzgedanken nicht zu vertreten. Vegetation über Tiere zu stellen unter dem Vorwand, das Klima zu schützen ist eine bizarre Verdrehung der Krisen unserer Zeit: Biodiversität und Klima sollten nicht gegeneinander ausgespielt und schon gar nicht mit leeren Tierschutzfloskeln verbrämt werden.
Seitdem sich Fichtenholz aufgrund von Extremwetter, besonders durch die Kombination aus Stürmen und Trockenheit mit anschließendem Borkenkäferbefall, nicht mehr sorglos anbauen lässt, bemühen sich selbst die konventionellsten Waldbesitzenden um ein klimaschützerisches neues Image. Plötzlich ist von Ökosystemleistungen des Waldes die Rede, von „unserer“ grünen Lunge. Man gibt sich überrascht angesichts hektarweise abknickender Nadelforste. Man ist beleidigt über geäußerte Kritik, die als „Forstbashing“ abgewiesen wird.
Die von Forstleuten gerne eingenommene Opferrolle, da schließlich die Altvorderen jene Stangenforste angebaut hätten und nicht man selbst, wird nun ergänzt um die neue Rolle der Waldschützer – unabhängig davon, ob diese selbst massenweise Holz ernten und pflanzenfressende Wildtiere zu Schädlingen degradieren. Der lange Zeithorizont im Waldbau mag ein Argument sein für inzwischen ungeeignete Baumarten, allerdings verwundert trotzdem das jahrzehntelange „weiter so“ vieler Forsten. Schließlich ist das Thema Klimawandel nicht erst seit den letzten Dürresommern bekannt.
Wo bleibt die ehrliche Selbstreflexion? Stattdessen wurde das Phantom „Wald-Wild-Konflikt“ erschaffen, und damit Generationen von Förstern vermeintlich entlastet, die fortan nur noch lauthals über angeblich zu hohe Wildbestände zu jammern brauchen. Dass es innerhalb eines Ökosystems nicht zu Konflikten zwischen Bestandteilen dieses Ökosystems kommt, ist ein Fakt, der wohl bedauerlicherweise nicht in das Konstrukt passt. An dieser Stelle wird aber vielleicht deutlich, dass hinter der Wald-vor-Wild-Ideologie vielleicht vielmehr ökonomische als ökologische Aspekte stehen.
Tatsächlich haben sich Waldökosysteme in Co-Evolution mit der heimischen Huftierfauna entwickelt. Die heimische Großtierfauna bedingte die ursprüngliche Biodiversität Mitteleuropas [2] und sie ist nicht die Ursache von Beeinträchtigungen der Waldökosysteme [3]. Vielmehr ist inzwischen direkt erlebbar, dass von Menschen überformte Flächen, insbesondere forstliche Monokulturen, nicht genug Widerstand gegen verschiedene äußere Einflüsse leisten können.
Die aktuelle Debatte um die Jagd als einziges Instrument der Schaffung klimaresilienter Wälder ist voller Scheinargumente. Solange lediglich mehr geschossen werden soll, können die ursächlichen Probleme nicht behoben werden. Ökosysteme leiden unter Übernutzung durch Menschen. Intensiver Waldbau mit Rückegassen, die von tonnenschweren Erntemaschinen befahren werden, damit einhergehende Bodenverdichtung, übersäuerte Böden durch Fichtenmonokulturen oder Kahlschläge seien hier nur als Stichworte erwähnt.
Bei den sektenartig hervorgetragenen Wald-vor-Wild-Phrasen wird hauptsächlich der Schutz junger Bäume aus Natur- und Kunstverjüngung durch noch mehr Jagd propagiert und dies als Klimaschutzmaßnahme für einen idealen resilienten Zukunftswald dargestellt. Aus Tierschutzsicht aber wäre es durchaus möglich mit milderen sowohl forstlichen als auch jagdlichen Maßnahmen zu arbeiten.
Wie sieht es mit dem Schutz von vorhandenen Primär- und Altwäldern aus? Wie wird mit großen alten Baumbeständen umgegangen? Über Schutz und Nutzung alter vorhandener Wälder existiert keine so laute Debatte wie um den zukünftigen Designer-Wald, den letztendlich aber niemand exakt prognostizieren kann. Ist es verhältnismäßig, dafür pflanzenfressende Paarhufer in ihren Bestandsgrößen bis an ihr lokales Existenzminimum zu reduzieren? Obgleich es an wildbiologischer Kenntnis orientiertes Wildmanagement gibt, wovon Jagd und Jagdruhe nur einzelne Instrumente sind in einer angemessenen wildökologischen Raumplanung, werden diese in der Wald-vor-Wild-Argumentation nicht beachtet.
Für den Waldumbau sollen großflächige Bewegungsjagden [4] (Drück-Stöberjagden) auf pflanzenfressende Huftiere intervallweise im Herbst und neuerdings bis in den späten Winter durchgeführt werden. Dabei kann es zu schwerwiegenden tierschutzrelevanten Problemen kommen, obwohl die Idee von theoretisch selteneren jagdlichen Eingriffen durch Intervalljagd zunächst plausibel klingt. In der Praxis hingegen schaden Bewegungsjagden im Winter nach der Wintersonnenwende sowohl der Vegetation als auch dem Wild, welches einen erhöhten Energiebedarf decken muss, wenn es durch Unruhe in seinem Revier umhergetrieben wird.
Die Tragik, eine künstlich geschaffene Forstlandschaft unter dem Mäntelchen der „Ökojagd“ mittels einer Wald-vor-Wild-Ideologie schützen zu wollen, ist kaum zu überbieten. Normalerweise kommen Organismen eines Ökosystems miteinander zurecht, auch wenn sich dabei bisweilen Gleichgewichte verschieben und Wälder im Jungwuchs zeitweise und lokal mehr Fraßeinwirkungen aufweisen als einige Jahre später noch sichtbar sein wird. Wer für diese Prozesse keine Geduld hat, sollte mechanische Schutzmaßnahmen in Betracht ziehen, damit unser heimisches Wild in seinem Lebensraum erhalten bleibt.
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Lesen Sie auch:
[1] WWF-Studien Alles aus Holz, letzter Zugriff: 08.09.2023. [2] Sticht et al 2021: BUND Hintergrund, Wald und Huftiere, Artenschutz und Carnivore, zum vermeintlichen Wald-Wild-Konflikt und zur Idee, wilde Tiere zu „managen“. [3] Ebd. [4] Die Terminologie zu Gesellschaftsjagden ist nicht ganz einheitlich, im vorliegenden Text wird der Begriff Bewegungsjagd auch als Drück-Stöberjagd verstanden.
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