Hören | Es heißt, nirgends wird so viel gelogen wie vor Wahlen, im Krieg und nach der Jagd. Wer das sagte, kannte noch nicht die polemischen Polit-Scharmützel um die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland. Dabei sollten wir uns bei dem Thema, ähnlich wie beim Klimawandel, einfach an die Wissenschaftler und die von ihnen belegten Fakten halten. Zu dem im Titel angesprochenen Thema gibt es einiges zu sagen:
Wolf und Wild
„Da wo der Wolf geht, wächst der Wald“, dieses alte russische Sprichwort wurde 2022 durch eine wissenschaftliche Untersuchung von Eike Schumann zur Entwicklung des Verbisses von Schalenwild an kleinen Bäumchen von 2008 bis 2021 unter dem Einfluss von zunehmender Wolfspräsenz in Forstgebieten Sachsen-Anhalts untersucht.
Es wurde ein Rückgang des Verbisses um ca. 90 % festgestellt, die Kosten für Forstschutzmaßnahmen konnten dadurch nahezu auf Null gesenkt werden. Schumann führte dies auf eine Reduzierung der Schalenwildbestände durch den Wolf zurück. Das darf bezweifelt werden, auch wenn im Beobachtungszeitraum tatsächlich der Bestand an dort nicht heimischem Damwild zurückging. Beim Rehwild jedoch konnten nur leichte Veränderungen der Jagdstrecken festgestellt werden.
Tatsächlich erscheinen Wölfe für eine zahlenmäßige „Regulierung“ nicht zahlreich genug. In einem durchschnittlichen deutschen Wolfsrevier von rd. 200 – 300 Quadratkilometern leben 8-12 Wölfe.
Die Jagdstrecken auf derselben Fläche liegen gemäß Angaben des Deutschen Jagdverbandes bei etwa 2.000 Rehen, ca. 800 Wildschweinen, ungefähr 170 Stück Damwild und 200 Stück Rotwild (DJV 2024; Greiser et al. 2023). Die tatsächlichen Wildbestände sind natürlich deutlich höher.
Auf deren Reproduktionsrate könnten Wölfe vielleicht einen marginalen Einfluss haben, aber als Opportunist ist der Wolf darauf bedacht, seinen Energieverbrauch und sein Verletzungsrisiko klein zu halten. Deshalb nimmt er das, was er am einfachsten bekommen kann, und reißt daher vorzugsweise ältere, kranke und geschwächte Tiere, deren Zustand er auf große Entfernung wittern kann und die zum Reproduktionsgeschehen nicht (mehr) beitragen. Von den Jungtieren erwischt er fast nur diejenigen, die mutmaßlich ohne ihn dem Straßenverkehr zum Opfer gefallen wären. Die meisten Tiere, die dem Wolf zur Nahrung dienen, wären also ohne ihn wohl etwas später nach grausamem Siechtum irgendwo in einer Dickung sowieso gestorben.
Entscheidend ist aber, dass Wölfe durch ihre Jagd riesige Schalenwildbestände augenscheinlich so in Bewegung halten, dass ein so starker Wildverbiss wie ohne Wölfe nicht mehr möglich ist. Denn Bewegung ist eine typische Feindvermeidungsstrategie.
Eine weitere wichtige Ökosystemleistung der Wölfe ist das Durchbrechen von Infektionsketten. Wenn kranke Tiere früher von Wölfen getötet werden, können sie nicht so viele Artgenossen anstecken! Hier hilft der Wolf sogar den Menschen, denn die Afrikanische Schweinepest ist auch ein Risiko für Hausschweine.
In den Abruzzen gibt es Krankheiten unter Wildschafen, die auf den Bergweiden auch auf Hausschafe „überspringen“. Deshalb wissen Schafhalter dort, dass sie für das Leben mit dem Wolf und den Schutz ihrer Herden eine Gegenleistung bekommen. Dort und anderswo forscht Prof. Dr. Konstanze Krüger von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen zum Wolf und seiner Umwelt. Im engen Kontakt mit der Landbevölkerung in den Abruzzen wurde ihr wiederholt vom Durchbrechen von Infektionsketten durch Wölfe über den „grauen Räuber“ berichtet.
Im U.S.-amerikanischen Bundesstaat Wisconsin hat Jennifer Raynor von der Weslayan University nachgewiesen, dass Wolfspräsenz die Anzahl der Wildunfälle mit Hirschen um ein Viertel reduziert. Wie das?
Im Prinzip nutzen alle Wildtiere gerne die „Linienstrukturen“ des Menschen, wie Straßen, Eisenbahnlinien und Pipeline-Trassen, weil man dort schneller vorwärts kommt. Wenn an Highways aber regelmäßig Wölfe unterwegs sind, meiden die Hirsche diese Bereiche (Raynor et al. 2021). Gleiches dürfen wir für deutsche Bundesstraßen und unsere Rehe, Wildschweine und Hirsche annehmen. Durch die Jagdaktivitäten des Menschen werden Wildtiere in die Nachtaktivität getrieben und verursachen in der Dunkelheit naturgemäß mehr Wildunfälle als am Tag. Die deutsche Versicherungswirtschaft beziffert die jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten von Wildunfällen in Deutschland immerhin auf fast eine Milliarde Euro!
Vor diesem Hintergrund ist die große Ablehnung der Wölfe durch die Jägerschaft nur schwer zu verstehen. Denn sowohl übermäßiger Wildverbiss als auch die vielen Wildunfälle im Straßenverkehr können durch die Präsenz der Wölfe reduziert werden. An einem gesünderen Wildbestand durch das frühzeitige Durchbrechen von Infektionsketten sollte die Jägerschaft ebenfalls Interesse haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bewirkt Wolfspräsenz durch das Eindämmen von Seuchen unter den Schalenwildarten eher mehr jagdbares Wild als weniger.
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Quellen:
DBBW (2023): Wölfe in Deutschland – Statusbericht 2022/23. – Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Wolf (Hrsg.)
DJV (2024): DJV-Handbuch Jagd 2024. - DEUTSCHER JAGDVERBAND (Hrsg.); Berlin: 736 S.
Greiser, G., A.-S. Mailänder, I. Martin & W. Ponick (2023): Status und Entwicklung ausgewählter Wildtierarten in Deutschland. Jahresbericht 2021. Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands (WILD). - Deutscher Jagdverband (Hrsg.); Berlin: 83 S.
Raynora, J.L., C. A. Grainger & D. P. Parker (2021): Wolves make roadways safer, generating large economic returns to predator conservation. – PNAS 118 (22): 10 pp.
Schumann, E. (2022): Entwicklung der Schalenwildbestände im Fläming vor dem Hintergrund der Besiedlung durch den europäischen Wolf. – Bachelorarbeit, Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Fachbereich Wald und Umwelt Studiengang „Forstwirtschaft“; Eberswalde, 39 S.
GDV: Wildunfälle kosten Versicherer jeden Tag 2,6 Mio. Euro (2022)