Zugvögel unter Feuer - Spießrutenflug am Mittelmeer und in Deutschland
- Dr. Martin Steverding
- vor 5 Stunden
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„Wenn man als Vogelschützer knietief durch Federn, Flügel, Köpfe und Füße von geschützten Greifvögeln waten muss, ist das so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann“. So beschreibt Alexander Heyd vom Komitee gegen den Vogelmord seine Eindrücke in diesem Jahr im Libanon. Sieben Wilderer konnten kürzlich dort durch das Komitee angezeigt werden, was jedoch angesichts des immensen Umfangs der dortigen Greifvogelwilderei nur als Tropfen auf dem heißen Stein bewertet wird.
Das Komitee gegen den Vogelmord spricht vom wahrscheinlich größten Greifvogelfriedhof der Welt in den Bergen von Quobayat in Nordlibanon nahe der Grenze zu Syrien. In dem erschreckenden Video bei Facebook sind unglaubliche Mengen geschossener Greifvögel bzw. deren Überreste zu sehen, darunter Wespenbussarde, Schreiadler und zahlreiche weitere Arten. Gruppen von Wilderern schießen hier auf alle erdenklichen, vorbeiziehenden Vögel, insbesondere auf Greifvögel. Deren Brustfleisch gilt als Delikatesse, es wird aber weniger verkauft, sondern vielmehr direkt vor Ort in Gemeinschaft gegrillt und gegessen. Die Wilderei dort habe nichts mit Religion oder Tradition zu tun, sie sei Ausdruck einer gelangweilten, chancenlosen und schlecht gebildeten Bevölkerungsschicht in einem Land, das seit Jahrzehnten nur Krieg und Krisen kenne.
Der lange, aufreibende und gefährliche Einsatz für die Vögel hat schon viele große Erfolge erzielt, in einigen Regionen konnte die Vogelwilderei stark eingedämmt oder gar gänzlich bekämpft werden. Dennoch ist das Ausmaß der illegalen Jagd auf Zugvögel weiterhin enorm und Greifvögel sind besonders stark betroffen.
Sie ziehen überwiegend im energiesparenden Segelflug und benötigen daher Thermik, die sich nur über dem Festland in ausreichendem Maß entwickelt. Greifvögel und andere Segelflieger wie Störche fliegen daher möglichst wenig über Wasserflächen und umgehen das Mittelmeer im Westen und im Osten oder queren es über Italien und Sizilien. Große Mengen von Schreiadlern, Wespenbussarden, Schwarzmilanen und weiteren Greifvogelarten, sowie Störchen ziehen entlang der libanesischen Mittelmeerküste. Unzählige von ihnen lassen dort ihr Leben, was auch unsere heimischen Brutvorkommen gefährdet. Der Schreiadler ist in Deutschland akut vom Aussterben bedroht, jedes einzelne im Libanon abgeschossene Individuum bringt diese Vogelart dem Abgrund näher.

Nicht nur im Libanon sind die Zugvögel unter Feuer, auch auf Zypern und Malta, in Ägypten und an zahlreichen anderen Orten im Mittelmeerraum hat die illegale Vogeljagd monströse Ausmaße. Allerdings findet auch hierzulande Jagd auf Zugvögel im großen Stil statt – nach deutscher Jagdgesetzgebung legal:
Im Jagdjahr 2023/24 wurden bundesweit 14.424 Waldschnepfen geschossen, davon die weitaus meisten in den Bundesländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Die Jagd auf Waldschnepfen findet im Herbst und Winter statt, es handelt sich bei den getöteten Vögeln daher vermutlich überwiegend um Brutvögel aus Polen, den baltischen Ländern, Russland und Skandinavien. Im selben Jagdjahr wurden bundesweit 148.851 „Wildgänse“ geschossen, darunter sind auch nordische Überwinterer wie die Blässgans (bejagt in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern), die Saatgans (bejagt in Mecklenburg-Vorpommern) und die Weißwangengans (bejagt in Niedersachsen und Schleswig-Holstein). Ebenso wurden 218.346 „Wildenten“ erlegt. Dabei handelt es sich überwiegend um die Stockente, auch hier sind Wintergäste und Durchzügler aus dem Norden und Osten Europas betroffen. Darüber hinaus werden die in Deutschland bedrohten Krickenten, sowie die als nordische Gäste auftretenden Pfeifenten in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bejagt. In diesen Bundesländern liegen ihre bedeutendsten Rastvorkommen.
264.417 „Wildtauben“ wurden im Jagdjahr 2023/24 in Deutschland abgeschossen, trauriger Spitzenreiter unter den Bundesländern ist mit deutlich über der Hälfte der Gesamtstrecke Nordrhein-Westfalen (150.075 Tauben). Es handelt sich überwiegend um die sehr häufige Ringeltaube, aber die Häufigkeit einer Art rechtfertigt nicht ihre massenhafte Tötung. Die „Taubentage“, an denen in ganzen Landkreisen koordiniert und gleichzeitig auf Tauben gefeuert wird, unterscheiden sich nicht von den Schießorgien auf Zugvögel an der Mittelmeerküste. Jäger im Tarnanzügen sitzen in ihren Verstecken, vor ihnen sind Locktauben aus Kunststoff aufgestellt. Beim Versuch, sich dem vermeintlichen Trupp von Artgenossen anzuschließen, werden die anfliegenden Tauben mit Schrot aus der Luft geholt. Wer an diesem Tag die meisten Tauben abknallt, wird besonders geehrt.








