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Dr. Madelaine Martin

Jäger können die Ausbreitung des Waschbären nicht verhindern

Antwort vom 19.2.2019 von Dr. Madelaine Martin, der Landesbeauftragten des Landes Hessen für Angelegenheiten des Tierschutzes, auf einen Leserbrief im Wiesbadener Kurier vom 19.1.2019 zur Jagd auf Waschbären

Deutschland droht im Zusammenhang mit der EU-Verordnung zu invasiven Arten kein Vertragsverletzungsverfahren. Das droht vielmehr in anderen Bereichen, nämlich bei der Haltung von Schweinen und von Versuchstieren. Leider werden diese Probleme von der Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen wie die angeblich so großen Schäden von invasiven Arten, die vor allem von der Jägerschaft hochgespielt werden. Viele Jäger interpretieren den Auftrag der Verordnung völlig falsch, wenn sie die Verordnung als Freibrief oder gar als rechtliche Verpflichtung zur unbeschränkten Jagd oder Tötung darstellen wollen.

Die normale Jagdausübung kann gar keine Maßnahme im Sinne der EU-Verordnung sein, solange sie sich nicht auch den sonstigen Regeln der Verordnung unterwirft. Bild: René Schleichardt

Das Gegenteil ist der Fall: Die normale Jagdausübung kann gar keine Maßnahme im Sinne der Verordnung sein, solange sie sich nicht auch den sonstigen Regeln der Verordnung unterwirft. Die EU fordert beispielsweise, dass zunächst die Schäden der invasiven Arten und der Nutzen der Maßnahmen gegeneinander abgewogen werden müssen. Sie fordert, dass Maßnahmen "verhältnismäßig", das heißt angemessen sein müssen. Und letztlich fordert die Verordnung, dass die Wirksamkeit von Maßnahmen ganz konkret nachgewiesen werden muss.

Warum gibt es diese Bestimmungen der EU, die ja scheinbar den Zielen der Verordnung widersprechen? Weil die EU ausdrücklich anerkennt, dass sich manche Arten wie der Waschbär bei uns bereits so weit verbreitet haben, dass es möglicherweise keinen Sinn macht, hunderttausende von Tieren jährlich zu töten, ohne die Entwicklung wirklich beeinflussen zu können.

Es muss aus gutem Grund bezweifelt werden, dass eine Populationskontrolle mit Hilfe unseres heutigen Jagdsystems (Reviersystem mit Hobbyjägern) überhaupt möglich ist. Das lässt sich gut am Waschbären zeigen. Vier Exemplare wurden am Edersee von Jagdscheininhabern "zur Bereicherung der heimischen Tierwelt" in den 1930er Jahren ausgesetzt. Bis zum Jahr 2015 durften Waschbären in Hessen ohne Schonzeit ganzjährig bejagt werden. Also ganz so wie viele Jäger sich das jetzt wieder zurückwünschen!

Und welchen Effekt hatte das auf die Waschbärenpopulation in Hessen? Keine: Die Tiere konnten sich so stark ausbreiten, dass sie jetzt als invasiv eingestuft wurden. Die jahrzehntelange, uneingeschränkte Bejagung durch die hessische Jägerschaft hatte also absolut keinen nachweisbaren Effekt. Die Jagd konnte nachgewiesenermaßen die Populationsentwicklung des Waschbären in Hessen nicht kontrollieren, seine Ausbreitung nicht verhindern.

Das gleiche zeigt sich übrigens auch beim Schwarzwild, also den immens anwachsenden Beständen von Wildschweinen, gegen die die Jäger hoffnungslos überfordert anschießen. Der Unterschied ist hier aus Sicht des Tierschutzes, dass die getöteten Wildschweine wenigstens (hoffentlich) noch verwertet werden, während Waschbären, Fuchs, Marder etc. überwiegend einfach ungenutzt in der Tonne landen oder sonst wie entsorgt werden.

Die Frage nach den Quellen, auf die ich mich beziehe, lässt sich leicht beantworten. Es hilft ungemein, den Blick über den Tellerrand aus Hessen fort zu bewegen und einfach auf Länder zu sehen, die viel länger mit den Waschbären leben: Nordamerika und Kanada. Ich zitiere: „Eine amerikanische Studie an Waschbären zeigte auf, dass die Bejagung zu keinerlei Bestandsreduktion führte, sondern lediglich zu einer Verschiebung im Altersklassenaufbau mit einem deutlich höheren Anteil an Jungtieren und trächtigen Fähen gegenüber unbejagten Populationen (ROBEL). ROBEL, R.J. et al.: Racoon Populations: Does Human Disturbance Increase Mortality? In Transactions of the Kansas Academy of Science 93 (1-2), 1990, S. 22-27".

Auch wenn es vielen Jägern noch schwer fällt zu akzeptieren: das Tierschutzgesetz und insbesondere das Staatsziel Tierschutz schließen auch jagdbare Wildtiere mit ein. Grundloses (weil sinnloses) Töten von Wirbeltieren ist nicht mehr erlaubt. Wenn Jagdausübung - vor allem die Freizeitjagd - weiterhin eine gesellschaftlich akzeptierte Beschäftigung sein und ihrem Anspruch auf Artenschutz gerecht werden will, dann müssen viele Jägerinnen und Jäger noch umdenken lernen, anstatt weiter in überholten, nachweislich nicht funktionierenden Denkansätzen zu verharren.

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