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  • Dr. Martin Steverding

Von Dachsburgen und Fuchsbauen - Untergrundgeschichten

Hören - Etwa 20 Eingänge führen in das weit verzweigte System aus Tunneln und Kammern im Untergrund. Die Röhren sind picobello, es liegt kein Dreck herum. Die Höhlen sind trocken, sauber und gemütlich ausgepolstert. Nur in den Gängen, die gerade nicht benutzt werden, liegt Laub. Die Toilette ist draußen, hier unten hinterlässt niemand seinen Schmutz. Die Bewohner des Untergrundes erkennt man leicht an ihrem schwarzweiß gestreiften Gesicht – wenn man sie denn mal sieht. Meist aber sieht man sie nicht, denn sie verlassen die unterirdische Burg fast nur im Schutz der Dunkelheit.


In einem Seitentrakt des Labyrinthes leben die Mitbewohner mit dem roten Pelz. Bei ihnen ist es nicht so sauber, Essensreste liegen auf dem Vorplatz herum. Vor den drei Eingängen hier am Rand der Untergrundsiedlung ist alles plattgetrampelt, denn hier ist der Spielplatz des Nachwuchses. Hier wird vergnügt getobt, gerauft, gerannt und Fangen gespielt.



Dachse sind absolute Profis im Tiefbau. Gedrungen und stämmig, kurze starke Beine, große Pfoten mit langen kräftigen Krallen – der perfekte Körperbau zum Buddeln. Viele Kubikmeter Erde bewegt ein Dachs im Laufe seines Lebens, sein Bau ist eine ständige Baustelle. Es werden neue Gänge und Kammern angelegt, alte Gänge werden reaktiviert und ausgebessert. Es werden Mengen von Polstermaterial wie Gras, Moos und Laub in den Bau transportiert – stets im Rückwärtsgang mit dem Hintern voran. Der gesamte Familienclan lebt zusammen unter Tage, hält die Untergrundburg gemeinsam sauber und bewohnt sie über Generationen. Viele Dachsbaue sind Jahrzehnte, manche wahrscheinlich sogar Jahrhunderte alt. Nicht selten hat ein Dachsclan zwei oder mehr Burgen, zwischen denen er wechselt und manchmal lebt auch ein Teil des Clans in dem einen und ein Teil in dem anderen Bau. Dachse sind sehr soziale Tiere, die untereinander viel Körperkontakt haben, miteinander kuscheln und sich gegenseitig ausgiebig das Fell pflegen. Sie sind Meisterschnüffler, die meist nur in der Nacht den Bau verlassen, um hörbar schnüffelnd auf Nahrungssuche gehen. Ein wenig wie ein Schwein, ein wenig wie ein kleiner Bär sind sie Allesfresser und nehmen das, was ihr unglaublich feiner Geruchssinn findet: Regenwürmer, Insektenlarven, Früchte, Eicheln, Mäuse und vieles mehr. Dachse sind gemächlich unterwegs, der Umgang miteinander und auch das Spiel der Jungen wirkt eher gemütlich.


Ganz anders die Füchse im Seitentrakt der Burg: An diesem Maiabend toben die vier Welpen was das Zeug hält. Sie rennen hintereinander her, rollen übereinander, springen vom Sandhaufen herunter, den die Dachse in den Jahren zuvor aus dem Untergrund gebuddelt hatten. Junge Füchse sind energiegeladen, strahlen pure Lebendigkeit aus, geballte Lebensfreude. Wo Fuchswelpen spielen, wächst kein Gras mehr - der Spielplatz vor dem Bau ist leicht zu erkennen. Auch Füchse sind sehr soziale Tiere, die in Familienverbänden und Clans leben – zumindest dort wo es ihnen möglich ist. Das wilde Spiel der Jungen mit den ausgiebigen Raufereien ist wichtig für die soziale und körperliche Entwicklung, und es macht ihnen definitiv Spaß. Füchse ziehen gern in die komfortablen Dachsburgen mit ein. Im Gegensatz zu den Dachsen verbringen Füchse aber den Großteil ihres Lebens oberirdisch. Der Bau ist für sie vor allem Fortpflanzungsstätte, für die Dachse ist er permanenter Wohnort. Füchse haben daher nicht die Reinlichkeit der Dachse am Bau entwickelt. Sie können auch eigene Baue anlegen, die aber bei weitem nicht die Ausmaße der Dachsburgen erreichen, oder sie gebären ihre Jungen unter Holzstapeln oder in anderen Verstecken.


Der Bau ist für Dachs und Fuchs Kinderstube und Gemeinschaftsort. Für den Fuchs ist er mehrere Monate im Jahr, für den Dachs das gesamte Leben Mittelpunkt und Rückzugsraum. Wie ist es möglich, dass weiterhin beiden Tierarten an ihren eigentlich sichersten Orten, in ihren Geburtsstätten und Kinderstuben nachgestellt wird? Wie kann es sein, dass Jagdgesetze erlauben, dass Hunde Füchse und Dachse aus ihren Wohnungen treiben, damit sie davor erschossen werden? Wie kann es sein, dass die Jagdgesetze der Bundesländer es erlauben, die Jungtiere beim Spiel vor dem Bau zu erschießen oder zu erschlagen, mit Welpenfallen zu fangen oder mit Hunden aus dem Bau zu holen? Warum dürfen weiterhin Hunde an lebenden Füchsen in Schliefenanlagen ausgebildet werden, wo die gefangen gehaltenen Füchse für das Training zur Tötung ihrer Artgenossen ein erbärmliches Leben führen? Wie ist es möglich, dass ein Land, das seit mehr als 20 Jahren den Tierschutz zum Staatsziel mit Verfassungsrang erhoben hat, einer winzigen Minderheit diese Barbarei erlaubt, obwohl geltendes Tierschutzrecht diese Praktiken verbietet? Wieso sind Fuchs und Dachs dem Gesetzgeber ganz offensichtlich so wenig Wert, dass für sie die Grundsätze des Tierschutzrechts außer Kraft sind und dass ihnen an keinem Ort Sicherheit vor der völlig sinnlosen Tötung gewährleistet wird?

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Mehr über den Autor erfahren Sie auf: steverding-artenschutz.de

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