Drückjagden: Wo sich der Hessische Jagdminister irrt
- Lovis Kauertz
- vor 6 Stunden
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Ende Oktober, Anfang November erteilt die Kirche im Rahmen von Hubertusmessen den Segen für die alljährliche Tötungsorgie in Deutschlands Wäldern: Sie sind der Auftakt zu Drückjagden, die bis in den Hochwinter durchgeführt werden.
Drückjagden sind Bewegungsjagden, die mit vielen Dutzend, manchmal mit über einhundert meist ortsfremden Jägern und mit Treibern veranstaltet werden. Häufig werden dabei, was nicht weidgerecht ist, hochläufige (langbeinige) Hunde eingesetzt, die dazu neigen sich zu Meuten zusammenzutun, das Wild zu hetzen und zu reißen. Zwar muss man bei den von staatlichen Forsten veranstalteten Jagden auf Wildschwein, Reh und Hirsch Schießübungsnachweise erbringen, nicht aber Schießleistungsnachweise. Ob ein Schütze überhaupt in der Lage ist, ein stehendes oder gar flüchtendes Wildtier zu treffen, steht in den Sternen – zumal bei Drückjagden häufig revierlose Gelegenheitsjäger gegen Gebühr teilnehmen. Bei privat veranstalteten Drückjagden werden häufig nicht einmal die Übungsnachweise abgefragt.

Auf Facebook veröffentlicht das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Hessen nun einen Post, der diejenigen Menschen, die sich bisher nicht näher mit der Jagd beschäftigt haben, wissentlich in die Irre führt:
Das von Jagdminister Jung (CDU) geführte Ministerium behauptet:
a) „Bei Drückjagden wird das Wild von Treibern und speziell ausgebildeten Hunden langsam in Bewegung gebracht („gedrückt“).“
Diese Aussage ist falsch. Es wird lediglich die „Brauchbarkeit“ von Jagdhunden geprüft, und zwar in den Disziplinen Wasserarbeit (mit der lebenden Ente), Stöberarbeit (während der Brut- und Setzzeit auf den Feldern), Bauarbeit (mit nicht tierschutzkonform gehaltenen Füchsen in Schliefanlagen) und Nachsuche (Suche z.B. nach von Jägern angeschossenen Wildtieren). Für das Jagdhundetraining auf Wildschweine in Hessen gibt es Angebote, die sich an Jäger richten. Letztere sind keine Voraussetzung für die Teilnahme an Drückjagden. Speziell für Drückjagden finden keine Gebrauchshundeprüfungen statt.
b) Falsch ist in den meisten Fällen auch, dass „das Wild langsam in Bewegung gebracht wird.“
Nur bei sehr wenigen Drückjagden werden ausschließlich kurzbeinige Hunderassen für das Drücken des Wildes eingesetzt. Hundemeuten und hochläufige Hunde oder gar stumm jagende Hunde hetzen das Wild und reißen z.B. Rehe. Hundemeuten sind nicht rückrufbar und können nicht gelenkt werden. Ihnen fallen auch Schafe oder selbst Rinder zum Opfer. Immer öfter werden auch – was u.E. nicht gesetzeskonform ist – lautlos jagende Hunderassen bei Bewegungsjagden eingesetzt. Die Chance der Wildtiere diesen Hundemeuten zu entkommen ist noch einmal geringer als der schon nicht weidgerechte Einsatz hochläufiger Hunde.
c) „Die Jägerinnen und Jäger stehen fest an ihren Plätzen und schießen nur, wenn sie das Tier eindeutig erkennen und sicher treffen können.“
Auch diese Aussage kann man so nicht stehen lassen. Bei Drückjagden, insbesondere, wenn hochläufige Hunde eingesetzt werden, sind Rehe, Hirsche, Wildschweine häufig auf der Flucht. Es ist nur ganz wenigen Jagdausübungsberechtigten vorbehalten, eine Wildsau, die mit 20, 30 km/h in einer Rotte die Schussrichtung des Schützen quert, „anzusprechen“ und dann auch noch mit sofort tödlichem Blattschuss zu erlegen.
„Ansprechen“ heißt, zu beurteilen, ob z.B. das Wildschwein ein Keiler oder eine Sau ist, welches Alter das Tier hat oder ob es Zitzen hat und somit abhängige Jungtiere hinterlässt. Gerade in den kalten Monaten ist letzteres aufgrund des dichten Haarkleides der Wildschweine oft nicht möglich. Geschossen wird trotzdem. Fehlendes oder fehlerhaftes Ansprechen ist nicht weidgerecht, wird in der Praxis aber so gut wie nicht geahndet. Es kann dazu führen, dass das Muttertier eines abhängigen Jungtieres getötet wird, was das Verhungern des Jungtieres oder das soziale und körperliche Verkümmern bei Hirschkälbern und damit erhebliches Leiden zur Folge hat. Rehe sind laut der TVT – Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz – in der Bewegung aufgrund ihres arttypischen Bogensprungs überhaupt nicht tierschutzkonform mit der Waffe zu töten (Merkblatt 123, 2011).
d) „Ziel ist die tierschutzgerechte und sichere Bejagung.“
Wir haben keinen Einwand gegen die Zieldefinition, wenn man unter „tierschutzgerecht“ den sofort tötenden Kammerschuss („Blattschuss“) versteht. Allerdings sieht die Realität anders aus: Im Merkblatt „Tierschutz und Bewegungsjagden“ [1] führt die TVT aus, dass bei Drückjagden auf Schwarzwild in Hessen nur etwa ein Drittel mit Blattschuss erlegt wurde, der Rest der Strecke wies Waidwund-, Keulen- oder Laufschüsse auf. Rehwild wies bei ca. 30 % der männlichen und ca. 60 % der weiblichen Tiere Bauchschüsse auf (Krug, unveröffentlicht).
Nicht weidgerecht sind spätestens ab Weihnachten auch die vom Hessenforst durchgeführten Drückjagden auf Schalenwild, d.h. Huftiere wie Hirsche, Rehe und Damwild. Aufgrund des in der Regel knappen Futterangebots kann das Wild deutlich weniger Nahrung und darüber hinaus nur solche von geringerer Qualität aufnehmen als während des restlichen Jahres. Zur Energieeinsparung reagiert das Wild mit physiologischen und anatomischen Anpassungen. [2] Um im Winter Energie zu sparen, reduziert das Rotwild (Hirsche) seine Bewegungsaktivität um bis zu 40 Prozent, die Körpertemperatur kann dabei durch die geringere Durchblutung der Körperteile auf bis zu 15 Grad sinken, die Herzfrequenz fällt um bis zu 60 Prozent und damit auch die Stoffwechselrate. Die Verringerung der Körpertemperatur reduziert zugleich die Bewegungsfähigkeit der Gliedmaßen des Wildes. [3] In dieser Situation die Tiere durch großangelegte Bewegungsjagden zu beunruhigen ist nicht tierschutzkonform und nicht einmal weidgerecht.
e) Ein Witz ist die nachfolgende Behauptung des Hessischen Landwirtschaftsministeriums: „Durch Drückjagden gibt es weniger Jagddruck im Rest des Jahres und weniger Stress für das Wild durch kürzere Jagdzeiten.“
Drückjagden werden nicht anstelle von Ansitzjagden und Treibjagden (auf Fasane, Feldhasen, Füchse u.a.) durchgeführt, sondern zusätzlich zu diesen Jagdformen. Wildschweine haben in Hessen und anderen Bundesländern überhaupt keine Schonzeit, sie werden ganzjährig bejagt – Tag und Nacht, mit Scheinwerfern und mit Nachtsichttechnik. Hirsche und Rehe werden je nach Alter vom 1. April bis zum 31. Januar gejagt. Das sind die längsten Jagdzeiten für diese Tierarten in Europa. Das bedeutet nicht nur für die jagdbaren Tiere großen, mit erheblichem Stress verbundenen Jagddruck, sondern für alle in den Jagdrevieren lebenden Tiere. Aktuell plant der hessische Jagdminister Ingmar Jung zusätzlich die bestehenden Schonzeiten während der Aufzuchtzeiten von Jungtieren aufzuheben und damit die Jagdzeiten und den Tier- und Artenschutz auf ein Niveau von 1952 zu senken - ohne jegliche wissenschaftlich fundierte Argumentation. Alarmierend und zugleich exemplarisch ist die beabsichtigte Wiedereinführung einer Jagdzeit für den Baummarder, einer Tierart, die in Hessen seit etwa zehn Jahren nicht mehr bejagt wird und seit 2023 auf der Roten Liste des Bundeslandes steht.
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Quellen, weiterführende Links/Literatur:
[1] Tierschutz und Bewegungsjagden, Stellungnahme der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT), Arbeitskreis Wildtiere und Jagd (AK 6), 2011
[2]/[3] Walter Arnold, Thomas Ruf, Susanne Reimoser, Frieda Tataruch, Kurt Onderscheka, and Franz Schober (2004), Nocturnal hypometabolism as an overwintering strategy of red deer (Cervus elaphus)
Hubertusmessen: Auftakt zur Tierquälerei
Staatsforste: Jagd außerhalb der Gesetze








