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Lovis Kauertz

Jagd mit Lindner: Offener Brief an Özdemir


Hören - Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die Einladung zu einem Jagdansitz mit seinem Kabinettskollegen Christian Lindner angenommen. Er wolle dem Finanzminister seine Sichtweise hinsichtlich der Jagd vermitteln. In einem offenen Brief an Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir weist die Tier- und Naturschutzorganisation Wildtierschutz Deutschland auf Themen hin, die Inhalt eines Austausches mit dem Finanzminister sein sollten, weil sie so von der breiten Gesellschaft nicht mehr getragen werden:


Offener Brief an Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir

Jagdausflug mit Herrn Bundesfinanzminister Lindner


Sehr geehrter Herr Bundesminister,


wie der Presse zu entnehmen ist, haben Sie eine Einladung zur Jagd mit Herrn Bundesfinanzminister Christian Lindner angenommen.


Wir fänden es angemessen, wenn Sie bei dieser Gelegenheit ansprechen würden, was bei der Jagd falsch läuft und von großen Teilen der Gesellschaft so nicht mehr getragen wird[1], zum Beispiel:


  • Vergessen Sie die PR-Märchen der Jagdverbände und fragen Sie den jagenden Bundesminister, warum die Hälfte der etwa sechs Millionen jährlich in Deutschland durch Hobbyjäger getöteten Tiere ohne Verwertung entsorgt wird und nicht einmal eine Evaluierung von Schaden und Nutzen dieser Zerstörung von Leben für unsere Umwelt stattfindet.


  • Fragen Sie den Finanzminister bitte, wie es sein kann, dass Jagdverbände, in denen er Mitglied ist, der Öffentlichkeit verkaufen, dass die vergnügungsorientierte, freiheitliche Jagd dem Artenschutz dienen soll. Obwohl doch seit Jahrzehnten jedes Jahr etwa 450.000 Füchse, 80.000 Dachse, 70.000 kleine Beutegreifer vom Mauswiesel bis zum Baummarder mit eben dieser Begründung getötet werden, wurde der Rückgang der Zielarten Feldhase und Rebhuhn dadurch nicht einmal aufgehalten – weder auf Landes- noch auf Bundesebene.


  • Warum spricht kaum jemand darüber, dass fast ganzjährig (!) der Schutz von zur Aufzucht erforderlichen Elterntieren missachtet wird: Fuchsfamilien verlieren durch vielerorts veranstaltete revierübergreifende Fuchsjagden im Januar und Februar mit dem Rüden ihren Hauptversorger. Hirschkälbern werden die zur Aufzucht erforderlichen Muttertiere im Rahmen von Bewegungsjagden im Winter, selbst noch im Januar weggeschossen. Bei Wildschweinen gibt es dahingehend schon lange keine Tabus mehr. So tragen renommierte Schweißhundführer vor, dass jedes zweite bei Erntejagden erlegte Wildschwein eine Mutter von Frischlingen ist.[2]


  • Warum versucht die Politik der Öffentlichkeit weiszumachen, dass die Wald-vor-Wild-Ideologie – und die damit einhergehende Intention Bestände insbesondere von Rot- und Rehwild lokal nahezu auszuradieren – die einzige Möglichkeit sei, einen klimastabilen Wald zu schaffen, obwohl es sachlich betrachtet vor allen Dingen um die wirtschaftlichen Interessen von Landes- und Bundesforsten und der privaten Forstindustrie geht. Studien[3] im Übrigen belegen, dass der Verbiss durch Rehe oder Hirsche hinsichtlich eines klimastabilen Waldes völlig überbewertet wird.



Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir, vielleicht sind das aber auch Fragen, denen Sie sich als der für die Jagd und für den Tierschutz zuständiger Bundesminister unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Staatsziele Eigentum, Umwelt und Tierschutz stellen sollten. Denn die ist lange aus den Fugen geraten: Tierschutz steht im Deutschland der 2020er Jahre vor allen Dingen auf dem Papier.


Gerne stehen wir Ihnen zu einem konstruktiven Dialog hinsichtlich einer Jagd, welche auch dem vernünftigen Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes gerecht wird, zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen

Wildtierschutz Deutschland e.V.


Lovis Kauertz, Vorsitzender



[1] Kimmig, S. E. et al. (2020). Elucidating the socio‐demographics of wildlife tolerance using the example of the red fox (Vulpes vulpes) in Germany. Conservation Science and Practice, 2(7), e212 [2] Seeben Christian Arjes: „Die Würde des Tieres ist antastbar“ in Wildhüter St. Hubertus, Sonderheft „Denkschrift Jagd“ 2022 [3] z.B. Reimoser, Stock et al. 2022: Does Ungulate Herbivory Translate into Diversity of woody Plants?

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