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  • Seeben Arjes

Es stand in der Zeitung | Die Macht der Schlagzeile

Hören - Glaube kann was bewirken, guter Glaube kann was anrichten.

Kleine Jagd am 2. Weihnachtstag. Nur so zum Spaß. Der Jagdherr selbst war auch dabei und der rief nach einem Hund. „Gehe mal mit dem Schweißhund da hinten an den Waldrand, schaue mal nach, ob ich was getroffen habe“.


„Waldrand? Das sind vierhundert Meter!? “


Ja, er hatte tatsächlich geschossen. Dreimal sogar. Dreimal auf viel zu weite Entfernung. Natürlich unwirksam. Gut, das war ihm generell nachzusehen, denn unser Jagdherr bezahlt die Jagd, aber er versteht sie nicht immer. Interessant aber war, was ihn veranlasst hatte, so zu handeln:

„Es könnte etwas ganz Besonderes gewesen sein: Ein Goldschakal!“, tat er geheimnisvoll.


„Die gibt es hier nicht.“

„Doch. Die wandern zu.“


Goldschakal Jagd Niedersachsen
Bisher wurden nur wenige Exemplare des Goldschakals in Deutschland gesichtet. Der anpassungsfähige Beutegreifer ist kleiner als ein Wolf und größer als ein Fuchs. Bild: flickr.com

Wir suchten nach und fanden: natürlich keinen Anschuss, auch keinen Schakal, aber einen Grund, den Chef nochmal was zu fragen: Was mochte einen sonst besonnenen Mann gesetzten Alters abrupt in einen Zustand versetzt haben, so blindwütig in Richtung eines Tieres zu schießen, das er gar nicht kannte, in dem er nur etwas vermutete?


Was bringt einen Menschen dazu, sich allein beim Anblick eines ihm unbekannten Tieres augenblicklich und unaufgefordert zu seinem Ankläger, Richter und Henker gleichzeitig zu ernennen? Wodurch sieht er sich dazu qualifiziert? Das musste eine Ursache haben. Wir wollten sie wissen.


Es stellte sich heraus, dass es eine Jagdzeitschrift war. Besser gesagt: Die Botschaft ihrer Titelzeile hatte eine arglose Seele getroffen.


„Das Tier schien mir grauer als ein Fuchs und etwas kleiner als ein Wolf." erklärte der Chef.


Das klang von seiner Seite überzeugend, aber doch etwas merkwürdig, denn Winterfüchse sind auch grau. Zudem hatte unser Chef bis zu diesem Tage bestimmt noch nie einen Wolf gesehen, geschweige denn einen Goldschakal. Konnte also beides nicht beurteilen.


„Die wandern wie die Wölfe in Massen zu, auch von Osteuropa, vermehren sich auch wie verrückt. Die sind eine Geißel unseres Schalenwildes. Wir müssen sie bekämpfen!“


Wir besorgten uns das von ihm abonnierte Magazin. Und tatsächlich: Da gab es in einer Ausgabe einen Bericht über das Jagdrevier Labod. Das liegt in Ungarn und ist unter Trophäenjägern als Jagdbordell bekannt. Teuer und nobel. Ein Mekka.


Auf der Titelseite des Magazins ist ein Goldschakal abgebildet und daneben steht reißerisch: "Goldschakal, Geißel des Schalenwildes". Und im Innenteil wird der kleine Kerl zusammen mit dem Dachs (!) (Foto) als „Räuber“ mit „dramatischen Folgen für Schalenwild“ hingestellt und das betreffende ungarische Jagdbordell mit „Vorzeigerevier“ umschrieben.


Wir fragten den Chef, ob er glaube, dass ein kleiner Goldschakal dramatischen Einfluss auf den Schalenwildbestand einer Rotwildregion haben könne und erhielten die wildbiologische Erklärung eines Steuerfachmannes. Na gut, er war ja auch nur ein treuherziges Opfer, gelenkt von der Botschaft einer Titelzeile. Aber war nun die Titelzeile auch gutgläubig oder sollte sie gezielt lenken?


Man könnte entschuldigend feststellen, die Presse müsse schließlich ihre Ware verkaufen und dürfe dafür auch zu Mitteln greifen, die den Umsatz so oder so etwas aufrütteln. Egal, Sorge macht aber, was die Botschaft einer Titelseite bewegen oder anrichten kann. Sie kann auf fruchtbarem Boden Irrtum und Wahrheit, Gut und Böse wachsen lassen. Artige Menschen oder solche, deren Wachsamkeit anderweitig gebunden ist, glauben sie und sind schnell bereit, zu spenden oder zu schießen. In eine Richtung, die ihnen durch die Wortwahl einer Presse vorgegeben wird. Dieser Vorgang ist nicht neu, gerade sehr aktuell, aber macht immer wieder nachdenklich.


Gewiss hat der endlose Leidensweg der Füchse etwas mit Bauern und Hühnern zu tun, aber vielleicht hat er in Kreisen des bewaffneten Aberglaubens auch mal mit einer Pressemeldung angefangen.


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Über den Autor

Seeben Arjes ist pensionierter Forstbeamter, ehemaliger Schweißhundführer, Naturfotograf und Autor zahlreicher kritischer Bücher über die Jagd und von Bildbänden, die das Ziel haben, Verständnis und Respekt von Natur und Tieren zu fördern. Er kritisiert Kommerzialisierung und Technisierung der Jagd, einhergehend mit mangelndem handwerklichen Können vieler Jagdausübungsberechtigter und den zunehmenden Verlust jagdlicher Ethik. Facebook: https://www.facebook.com/christian.arjes


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