Hören - Seit Jahren steht der Staatsbetrieb Sachsenforst (SBS) wegen seiner rigorosen Wald-vor-Wild-Politik in der Kritik. Der dem grünen Umweltministerium in Dresden angegliederte Forstbetrieb gibt vor, den Fichten dominierten Wald nur mittels intensiver Bejagung der wiederkäuenden Huftiere - sog. Schalenwild - zu einem klimastabilen Mischwald umbauen zu können. Dafür werden von Ende Oktober bis Ende Januar Drückjagden - Jagdkritiker nennen sie auch Kill-for-Cash Events - mit bis zu 140 Jagdscheininhabern, mit Treibern und Hunden durchgeführt. Die Maxime ist "Tod dem Rothirsch, dem Reh die Kugel".
Diese Jagdpraxis des Staatsbetriebs verstößt nach Angaben von Wildtierschutz Deutschland aus mehreren Gründen gegen die im Jagdgesetz als verpflichtend postulierten Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit und damit gegen das Tierschutz- und gegen das Bundesjagdgesetz.
Dazu Lovis Kauertz, Vorsitzender von Wildtierschutz Deutschland: „Am 27. März 2023 haben wir Strafanzeige erstattet gegen den Staatsbetrieb Sachsenforst, die Leiter der Forstbetriebe im Erzgebirge und die Teilnehmer der vom SBS dort veranstalteten Bewegungsjagden wegen der folgenden Verstöße gegen das Tierschutzgesetz, das Bundesjagdgesetz und das Sächsische Jagdgesetz:
I. Störung des wiederkäuenden Schalenwildes während der organischen Winterruhe
II. Erlegen von zur Aufzucht von Jungtieren erforderlichen Elterntieren
III. Zerstörung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes
IV. Bejagung von Rotwild ohne rechtsgültigen Abschussplan“
Demnach verstieß die Bejagung des Schalenwilds in den Forstbezirken des SBS im Erzgebirge gleich mehrfach gegen die Regelungen des Jagd- und des Tierschutzrechts und war mit den Grundsätzen der deutschen Weidgerechtigkeit nicht vereinbar.

I. Störung des wiederkäuenden Schalenwildes während der organischen Winterruhe
Mit den kürzer werdenden Tagen im Winter beginnt für Rehe, Hirsche und andere Pflanzenfresser (sog. „wiederkäuendes Schalenwild“) eine nahrungsarme Zeit. Durch den Aufbau einer Fettreserve haben sich die Tiere bis in den Spätherbst darauf vorbereitet. Damit diese Reserve aber über den Winter reicht, geht der gesamte Körper in einen Energiesparmodus. Dazu reduziert z.B. das Rotwild (landläufig: Hirsche) seine Bewegungsaktivität um bis zu 40 Prozent, die Körpertemperatur kann dabei durch die geringere Durchblutung der Körperteile auf bis zu 15 Grad sinken, die Herzfrequenz fällt um bis zu 60 Prozent und damit auch die Stoffwechselrate. Die Verringerung der Körpertemperatur reduziert zugleich die Bewegungsfähigkeit der Gliedmaßen dieser Wildtiere. Herz, Leber und Nieren sind deutlich verkleinert. Das Pansenvolumen ist aufgrund der geringeren Nahrungsaufnahme bis zu 40 Prozent geringer als im Sommer.
Die anatomischen und physiologischen Anpassungen und der reduzierte Stoffwechselhaushalt des Wildes führt zu verringerter Wachsamkeit, Schnelligkeit und Ausdauer und schränkt die Tiere damit erheblich in ihren Fluchtchancen ein. Zugleich verlangt die Bejagung im Rahmen von Bewegungsjagden den Tieren einen für sie unmöglichen Kraftaufwand ab. Totale Erschöpfung und das Versagen jeglicher Körperfunktionen können die Folge sein. Hirsche und Rehe in dieser Situation – insbesondere ab Mitte Dezember – mit einem Großgebot an Schützen, Treibern und Hunden zu bejagen ist mit den Grundsätzen deutscher Weidgerechtigkeit nicht vereinbar: Das Wild hat in dieser körperlichen Verfassung kaum Chancen der Jagd zu entkommen und erleidet unnötige Qualen. Die Bewegungsjagden des Staatsbetriebs im Januar 2023 stellen u.E. damit Verstöße gegen das Tierschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesjagdgesetz dar.
Andere, aus Tierschutzsicht mildere Optionen der jagdlichen Bewirtschaftung werden vom Sachsenforst im Erzgebirge erst gar nicht angedacht. Dabei gibt es etliche Beispiele dafür, wie mit der Definition von jagdfreien Wildruhezonen und Äsungsflächen, mit Besucherlenkung, Schutzmaßnahmen für Neuanpflanzungen und mit moderater, die Alters- und Sozialstrukturen und die Aufzuchtzeit berücksichtigenden Jagd sogar bessere Ergebnisse im Hinblick auf den Waldbau erreicht werden können.
II. Erlegen von zur Aufzucht von Jungtieren erforderlichen Elterntieren
Bewegungsjagden, insbesondere Drück-Stöberjagden, wie sie vom Staatsbetrieb Sachsenforst im Erzgebirge durchgeführt werden, gehören zu den anspruchsvollsten Jagdmethoden überhaupt und stellen höchste Ansprüche an die Organisation, aber auch an Erfahrung und Fertigkeiten der Teilnehmer. Tierschutzaspekten ist hier höchste Priorität beizumessen.
Dass der Staatsbetrieb Sachsenforst diesen hohen Ansprüchen nicht gerecht wird, ist schon daraus ersichtlich, dass zu diesen Bewegungsjagden Hundeführer mit bis zu 80 zum großen Teil hochläufigen Hunden teilnehmen und sich bis zu 140 Jäger aus dem In- und Ausland gegen geringe Gebühren anmelden. Außer dem Jagdschein und ggf. einem Schießübungsnachweis, der allerdings keine Auskunft über die Schießleistungen gibt, werden Erfahrungen und Fertigkeiten der Schützen nicht geprüft. Schützen, die aus den Niederlanden, Belgien oder Dänemark anreisen, können außer dem Ausländerjagdschein i.d.R. überhaupt keine Qualifikation nachweisen, insbesondere nicht hinsichtlich der Rotwildjagd.
Das sichere Ansprechen von Rotwild (der Schütze muss sich vor dem Schuss sicher sein, ob sein Ziel männlich oder weiblich ist, ob eine Hirschkuh ein Jungtier führt oder nicht, welcher Altersklasse das Tier angehört) ist zwingende Voraussetzung für alle, die diese Wildtierart bejagen. Bei kaum einer anderen Tierart haben Fehlabschüsse so vielfältige und nachhaltig negative Folgen. Im Januar 2023 hat der Staatsbetrieb Sachsenforst allein im Forstbezirk Marienberg sieben großräumige Drückjagden durchgeführt. In allen anderen Forstbezirken wurden im Januar 2023 ebenfalls Bewegungsjagden durchgeführt.
Typische Fehlerquellen von hoher Tierschutzrelevanz finden sich in der zu liberalen Freigabe von Alttieren (Hirschkühen) – sprich der Erlaubnis der Jagdleitung, diese Tiere zu erlegen – insbesondere beim Einsatz hochläufiger, sichtlauter oder stumm jagender Hunde oder Meuten, die das Risiko bergen, dass aus der Stöberjagd eine Hetzjagd wird. In der Folge werden Jungtiere führende Hirschkühe von ihren Kälbern getrennt. Das Risiko ein vom Muttertier abhängiges Kalb zurückzulassen, ist immanent. Während der sensiblen Elternzeit, die beim Rotwild etwa ein Jahr beträgt, stellt das Gesetz strenge Anforderungen an die Bejagung: Eine Schussabgabe hat zu dieser Zeit strengstens zu unterbleiben, wenn aufgrund der äußeren Umstände nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann, ob es sich um ein zu schonendes Elterntier handelt. Die Zuwiderhandlung ist eine Straftat.
Für die weidgerechte Bejagung von Hirschkühen ist es deshalb erforderlich, jeweils Alttier und dazugehöriges Hirschkalb als „Dublette“ zu erlegen. Das kann vor allem bei der Einzeljagd, bei vertrautem, das heißt, ruhig vor dem Schützen erscheinendem Rotwild, durchgeführt werden. Bei Bewegungsjagden kann dies dort möglich sein, wo das Rotwild fachgerecht nur leicht aus den Einständen bewegt wird. In Situationen mit einer Vielzahl von Hunden, die sich im Zuge des Jagdbetriebs zu gemeinsam jagenden – und oft hetzenden – Meuten zusammenschließen, ist dies jagdpraktisch ausgeschlossen. Die bei derartigen Jagden erlegten Hirschkühe und Kälber haben in der Regel nicht miteinander zu tun. Bei der Freigabe von einzeln anwechselnden Alttieren (alleine vorbeilaufende, erwachsene Hirschkühe) – wie das regelmäßig bei den Drückjagden in den Forstbezirken des Erzgebirges der Fall ist – besteht immer das Risiko, führungslose Kälber zurückzulassen.
So kommt eine aktuelle Studie des Büros für Wildbiologie Bayern für Forstbezirke des Erzgebirges auch zu folgendem Ergebnis: „Die hohe Anzahl erlegter Alttiere und genauso vieler oder gar weniger Kälber sind weder biologisch noch jagdpraktisch anders zu erklären, als dass hier zur Aufzucht von Jungtieren erforderliche Elterntiere erlegt wurden.“
III. Zerstörung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes
Aus der Entwicklung der Abschusszahlen, dem Trend der Erlegungszahlen von adulten Hirschkühen und dem Rückgang bis zum kompletten bzw. fast vollständigen Fehlen erwachsener Hirsche in den Strecken der einzelnen Forstbezirke und in den letzten Jahren ergibt sich, dass das Rotwildmanagement in den Forstbezirken des Erzgebirges keinen Einfluss auf die Sozialstruktur und Gesundheit des betroffenen lebenden Rotwildbestandes im Erzgebirge hat und damit den gesetzlichen Forderungen aus dem Bundesjagdgesetz und dem Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt widerspricht.
Die arteigenen, natürlichen Sozialstrukturen hinsichtlich Geschlechterverhältnis und Altersstruktur zumindest in Bezug auf männliches Rotwild sind in den Forstbezirken des Erzgebirges aufgrund der Bejagungsstrategie des SBS nicht mehr vorhanden. Das aktuelle Rotwildmanagement, vor allem die jährlichen Entnahmen, sichert keinen stabilen Bestand, der artgerechte Sozialstrukturen aufweist und artgemäße Verhaltensweisen ausüben kann. Die Teilpopulationen sind rückläufig und strukturell destabilisiert. Dadurch sind die Entwicklungsmöglichkeiten und die Anpassungsfähigkeit der Bestände des Rotwilds an sich ändernde Umweltbedingungen gestört. Damit beeinträchtigt das aktuelle Rotwildmanagement die Entwicklungsmöglichkeit und Anpassungsfähigkeit des lebenden Bestandes erheblich.
Entsprechend verstößt der Staatsbetrieb Sachsenforst auch der im Bundesjagdgesetz geforderten Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie der Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen. Das führt ebenfalls dazu, dass die Jagd des SBS den Grundsätzen deutscher Weidgerechtigkeit zuwider erfolgt.
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IV. Bejagung von Rotwild ohne rechtsgültigen Abschussplan
Das Sächsische Jagdgesetz regelt, dass für Rot-, Dam- und Muffelwild ein Abschussplan in der Regel für einen Zeitraum von drei Jagdjahren nach Wildart, Geschlecht und Altersklassen vom Jagdausübungsberechtigten aufzustellen ist. Dieser ist im Benehmen mit den Jagdbehörden und den betroffenen Hegegemeinschaften zu bestätigen oder festzusetzen. Das Bundesjagdgesetz statuiert zugleich, dass der Abschussplan von der zuständigen Behörde im Einvernehmen mit dem Jagdbeirat zu bestätigen oder festzusetzen und innerhalb von Hegegemeinschaften im Einvernehmen mit den Jagdvorständen der Jagdgenossenschaften und den Inhabern der Eigenjagdbezirke, die der Hegegemeinschaft angehören, aufzustellen ist. Die Gruppenabschusspläne für die Planungsperiode 2022/25 sind aufgrund der fehlenden Mitwirkung der Hegegemeinschaft Erzgebirge formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen.
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Alle Literaturquellen mit Links in dieser Abschrift der Strafanzeige
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