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  • Seeben Arjes

Sonntagsjäger | Lügen, Tweed und kalter Regen

Hören - Das war eine honorige Geste des hohen Jagdherrn dieses fürstlichen Revieres in Österreich: Im ersten Treiben durften die Schweißhundführer mit ansitzen.


„Für Euch sind Frischlinge und Kitze frei“, sagte der Verwalter, der als Jagdleiter fungierte. „Aber kommt nach Beendigung des Treibens bitte sofort zurück, alle Nachsuchen werden zentral von hier gesteuert“.

Ok, das kannten wir schon, war Jahr für Jahr das selbe. Aber Jagdleiter Paul hatte diesmal noch eine weitere Botschaft, nur für uns Schweißhundführer und vertraulich:


„Wer von Euch einen Frischling oder ein Kitz schießt, schleppt das Stück bitte etwa 100 Meter in den Wald und lässt es dort unauffällig liegen. Dafür aber bitte den Anschuss überdeutlich markieren.“

„Warum das?“

„Ich brauche Nachsuchen mit Erfolgsgarantie“.

„Wofür? Hund ausbilden? Hast Du einen Welpen?“

„Dies ist ein Kill-for-Cash Event. Zwei der Kunden haben einen Modehund und möchten Nachsuchen machen“.

„Können sie das denn?“

„Nein.“

„Warum sollen sie dann ..?“

„Es ist heute schick, Schweißhundführer zu sein. Beide sind zahlende Kunden und haben darum gebeten. Einer von ihnen ist der Bachenmüller. Den kennt ihr ja, ist der, der immer ungestraft auf die Bachen schießt. Er ist jetzt pensioniert und will noch mehr zur Jagd gehen. Er hat einen Hund gekauft und sich zum Schweißhundführer ernannt.“


Schweißhund nach der Jagd Sonntagsjäger
Der Schweißhund des Sonntagsjägers, Bild: Lorren & Loki, unsplash

Oh je! Auch das noch. Jetzt also der Bachenmüller auch noch. Erst kam die Angeheiratete mit einem schicken Dalmatiner, jetzt er selbst mit einem Schweißhund..! Die Eitelkeit der Menschen treibt groteske Blüten! Der weiß leuchtende Dalmatiner mit der pinken Halsung passte noch irgendwie in dieses Milieu , aber ein Schweißhund zur roten Krawatte mit den Fasanen und neben den Knickerbockern aus englisch Tweed...?


„Paul, das geht zu weit. Die Nummer mit dem Dalmatiner geht ja noch. Der wird nur vorgezeigt, der richtet keinen Schaden an. Aber das Nachsuchen schwer verletzter Tiere ist ein ernsthafter Teil der Jagd“.

„Der Doktor ist ein Freund des hohen Jagdherrn, ein rotarischer jedenfalls“.

„Paul, als Jagdleiter bist du auch den Tieren verpflichtet. Wenn hier schon lebende Tiere Teil eines Events sein müssen, haben wir die Pflicht, sie wenigstens mit den besten Mitteln professionell nachzusuchen und ihr Leiden kurz zu halten. Nachsuche ist Tierschutz.“

„Das Problem des Doktors liegt tiefer. Er leidet doch selbst darunter.“

„Er leidet? Woran?“

„Ihr habt ihn bislang zu oberflächlich gesehen, habt ihn auf Grund seines Auftretens als deplatzierte Jägerkarikatur belächelt und heimlich bespottet, dass seine Feuerkraft im umgekehrten Verhältnis zu seiner jagdlichen Urteilskraft steht.“

„Stimmt“

„Er leidet aber an dem berüchtigten Chefarztsyndrom“.

„Wie...?

„Na, schaut doch nur mal hin. In der Klinik spielt er den ganzen Tag die Rolle eines Gottes, der alles weiß, alles kann und niemals Fehler macht. Er erlebt die Menschen nur vor ihm liegend, die Kollegen in devoter Verbeugung und Frauen, die ihn überhöflich grüßen.

Ein auf solcher Ebene gewachsenes Ich kommt dann am Wochenende als Sonntagsjäger in den Wald und merkt, dass er dort keine Koryphäe ist, sondern ein belächelter Dilettant. So ein Zustand ist schlecht zu ertragen, denn sein Ego hat sich an die Darstellung einer Lichtgestalt gewöhnt.“

„Gut, aber warum dann Nachsuchen?“

„Ein Schweißhund an der Leine suggeriert jagdliche Kompetenz. Der Hund hilft ihm, das Bild seiner Eigenwahrnehmung auch vor Jägern zu spielen und sich von ihnen abzugrenzen. Das glaubt er jedenfalls.


„Paul, das mag ja sein, aber das geht zu weit. So ein Spiel ist das Gegenteil von waidgerecht, das ist Missbrauch .., das ist .. Das mache ich nicht mit!“


„Missbrauch wäre es, wenn wir der Kundschaft eine echte Nachsuche mit einem wirklich leidenden Tier verkaufen würden. Dann würden wir das Leid der Tiere zu Geld machen. Da würde auch ich nicht mitmachen. Genau deshalb machen wir die Schleppen mit dem bereits toten Wild.“


So gesehen hatte Paul vielleicht doch Recht. Das war sogar eine gute Idee. Diese Lüge könnte allen helfen. Einem Ego als Stütze, dem Geldgeschäft des hohen Jagdherrn und dem Frischling konnte es egal sein. Also schauten wir alle aufmerksam nach einem Frischling. Der kam aber nicht. Mir jedenfalls nicht. Dafür aber dem Torsten, dem Berufsjägerazubi. Der hatte gut aufgepasst und berichtete nach dem Treiben stolz: „Ich habe meinen Frischling vom Birkensitz über den Hauptweg bis in die Hangdickung geschleppt. War leicht, der hat höchstens 30 Kilo.“


Na, prima. Das hatte also schon mal geklappt. Alles andere funktionierte danach auch. Zunächst jedenfalls.

„Herr Doktor, wie schön, dass Sie uns beim Nachsuchen helfen. Sie fahren bitte bis zum Birkensitz. Der Anschuss ist mit rotem Papierband markiert, die Fluchtrichtung auch. Wenn Sie das Stück finden, bringen Sie es bitte direkt zum Streckenplatz“.


Paul war sehr zufrieden: „Das läuft gut so. Der Doktor wird stolz sein, der Jagdherr zufrieden, die Kasse stimmt. Was wollen wir mehr?“


Sonst war nur noch eine Nachsuche angemeldet und somit genug Zeit, uns vor der Arbeit etwas aufzuwärmen, denn es hatte ein kalter Dauerregen eingesetzt, den ein nasskalter Wind noch unangenehmer machte. Ein Kollege machte sich zwar Sorgen um den feinen Tweed des Doktors und seine rote Krawatte mit den Fasanen drauf: „Bei dem Wetter! Und damit in die Kieferndickung hinein...“

Aber das sollte uns nicht scheren. Schließlich war es nicht unsere Krawatte und der Bachenmüller längst unterwegs zum Birkensitz.


Die andere Nachsuche erwies sich als kurze Totsuche. So waren wir schnell wieder am Streckenplatz und bester Laune.

„Das wird ein guter Tag“, sagte Paul und alle waren guter Dinge. Fast alle. Einer stand zwischen uns wie das heulende Elend persönlich. Der Azubi im dritten Lehrjahr. Der stierte nachdenklich ins Leere und wollte keinen Glühwein.

„Was ist los?“

„Paul, es tut mir Leid. Da geht was schief, ich habe .., das wird eine Katastrophe!“

„Was wird eine Katastrophe?“

„Ich habe doch den Frischling geschossen und dann in die Dickung geschleppt, damit der Bachenmüller glaubt, eine echte Nachsuche zu machen.“

„Ja, und?“

„Da hätte ich den Frischling doch eigentlich nicht aufbrechen dürfen. Oder?“


Paul war entgeistert: „Herr Gott, wie kann man so blöd sein!“ Uns allen gefror der Glühwein im Glas: „Mann oh Mann, wie peinlich!“

„Können wir nicht noch... irgendwie... von hinten ran?“

„Nein, viel zu spät. Das ist wirklich eine Katastrophe!“


Der Tag war gelaufen. Aber das Schlimmste sollte noch kommen. Wie würde der Jagdherr reagieren? Bachenmüller war einer seiner besten Jagdkunden! Und gewährte im Gegenzug der ganzen Familie Privilegien im Wartezimmer. Katastrophe!


Einer wollte flüchten. Aber nein! Jetzt stehen wir das auch gemeinsam durch. Keiner geht vor dem Streckelegen. Egal, was passiert. Schließlich hat Paul doch nur im Sinne des Anstandes und der Waidgerechtigkeit gehandelt. Und der Lehrling hat es doch auch nur gut gemeint. Wir sollten dazu stehen.

Aber peinlich war das schon. Sehr peinlich! Das war ein schlechter Tag!


Es dauerte ungewöhnlich lange. Aber der hohe Jagdherr wollte nicht anfangen mit dem Streckelegen und Brücheverteilen: „Wir warten noch auf Doktor B. Der sucht noch eine Sau nach. Scheint eine schwierige Suche zu sein.“


Dann kam er. Das heißt, er fuhr vor. Das war kein Kommen, das war ein Auftritt, weil alle schon gewartet hatten. „Jetzt wird er davon ein öffentliches Gericht machen. Paul wird es abkriegen.“


Bachenmüller war so nahe an das Streckenfeuer herangefahren, dass ihn jeder sehen konnte. Ja, er sah sehr adrett aus. Absolut trockener Tweed, feine Schuhe, ein Gentleman, very british. Er stieg aus und holte aus dem Kofferraum des SUV nicht die Sau, sondern seinen Schweißhund mit Halsung und einen Regenschirm. Spannte diesen über sich, trat nach vorne und berichtete etwas zu laut und etwas zu theatralisch, es sei eine schwere Nachsuche gewesen, aber die Sau habe nur einen Streifschuss und sei nicht zu kriegen.


Der hohe Jagdherr nickte anerkennend. Viele andere auch. Nur unser armer Lehrling fiel von einer Starre in die andere. Jetzt verstand er gar nichts mehr. Nur Paul hatte es sofort begriffen. Angesichts der trockenen, sauberen Kleidung des Doktors hatte er gleich geahnt: Der war zwar hingefahren, aber gar nicht ausgestiegen. Zu kalt, zu nass.


Paul hieb dem verblüfften Azubi auf die hängende Schulter: „Begreifst Du nicht? Dieses Sauwetter hat Dich gerettet. Heute ist ein guter Tag!“


Ja, so wurde es am Ende doch noch ein guter Tag. Für alle. Für fast alle. Nur für den armen Lehrling nicht. Der verfluchte diesen Tag. Jetzt musste er auch noch hinfahren und den Frischling holen. Aus der dunklen, klatschnassen, saukalten Dickung am Hang.


„Naja“, sagte Paul, „er wird das schaffen, immerhin ist die Sau ja schon aufgebrochen“.

Wir konnten einstweilen einen heißen Punsch trinken und mit dem Doktor etwas fachsimpeln. So unter Kollegen.


+++

Über den Autor

Seeben Arjes ist pensionierter Forstbeamter, ehemaliger Schweißhundführer, Naturfotograf und Autor zahlreicher kritischer Bücher über die Jagd und von Bildbänden, die das Ziel haben, Verständnis und Respekt von Natur und Tieren zu fördern. Er kritisiert Kommerzialisierung und Technisierung der Jagd, einhergehend mit mangelndem handwerklichen Können vieler Jagdausübungsberechtigter und den zunehmenden Verlust jagdlicher Ethik. Facebook: https://www.facebook.com/christian.arjes

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