Im März des Jahres sprach der größte deutsche Lobbyverband der Jäger, der Deutsche Jagdverband, in einem Schreiben (s.u.) an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner erstmals davon, dass „Jäger unmittelbar zur systemrelevanten Daseinsvorsorge beitragen, indem sie Wildschäden verhindern“. Es ging darum, Einschränkungen der Reise- und Jagdmöglichkeiten der Jäger aufgrund von Corona-Regelungen zu verhindern.
Die Jagd ist nicht systemrelevant - das System Wald überlebt auch ohne Vernichtungsfeldzüge gegen Rehe und Hirsche. Bild: René Schleichardt
Klöckner ließ dann brav, auch im Namen von Spahn und Seehofer verkünden: „sie messe der Jägerschaft zum Schutz von Land- und Forstwirtschaft eine außerordentlich große Bedeutung zu“. In diesem Schreiben (s.u.) ist dann zwar auch die Rede von der „systemrelevanten“ Daseinsvorsorge, aber noch keineswegs von der Systemrelevanz von Jägern oder der Jagd.
In der Jagdpresse heißt es dann wenige Tage später bereits „Jagd“ sei systemrelevant. Eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums Baden-Württemberg wird mit der Aussage zitiert, dass Jäger ausdrücklich zu den systemrelevanten Personen gehörten und dies insbesondere mit Blick auf die Seuchenprävention zu betonen sei. Dabei ist die „Seuche“ – derzeit die Afrikanische Schweinepest – weder eine Gefahr für den Menschen noch für den Bestand der Tiere in der Landwirtschaft, denn die leben in Hochsicherheitsgefängnissen. Der Ausgang heißt bestenfalls Schlachthof. Eine Referatsleiterin des Sächsischen Sozialministeriums – hier werden die Corona-Verordnungen erlassen – hält gar die Jagd für systemrelevant.
Wir halten durchaus die Daseinsvorsorge durch die Landwirtschaft für systemrelevant, nicht aber die Jagd oder Jäger. Welche Systemrelevanz etwa hat es, wenn Jahr für Jahr fast eine halbe Million Füchse erschossen werden oder inzwischen selten gewordene Waldschnepfen oder Feldhasen? Möglicherweise stimmen Sie uns zu, dass das System keinen Schaden nimmt, wenn die Waldschnepfe, die übrigens ein Zugvogel ist, nicht mehr gekillt wird.
Wie aber ist es mit Wildschweinen? Die können ganze Sportplätze und Äcker umgraben. Da kann es durchaus zu beträchtlichen betriebswirtschaftlichen Schäden kommen. Zu ganz erheblichen Schäden kommt es derzeit aber auch durch die durchaus umstrittenen Schließungen ganzer Wirtschaftsbereiche durch die Corona-Verordnungen des Bundes und der Länder. Während die durch Wildschweine selbst ohne die Jagd verursachten Schäden volkswirtschaftlich kaum von Bedeutung wären, kann man das von den Schäden, die dadurch entstehend, dass Hoteliers, Gastronomen, Einzelhändler, Messeveranstalter und Unternehmen anderer Kultur- und Wirtschaftsbereiche durch die Politik in die Insolvenz getrieben werden, nicht behaupten.
Im Fall der Wildschweine ist die Jagd keineswegs – auch unter dem Gesichtspunkt der Afrikanischen Schweinepest – systemrelevant. Das schon deshalb nicht, weil eine noch so intensive Jagd in Deutschland seit Jahrzehnten (!) nicht zu einer nachhaltigen Reduzierung der Wildschweinbestände führt. Wo die Zahl der Wildschweine nicht zurückgeht, wird auch kein einziger Acker geschützt.
Das hat viele Gründe, die zu einem großen Teil aber auch an der Art und Weise der Jagd liegen: Anlockfütterungen – der Jäger nennt das Kirrung – tragen dazu bei, dass Frischlinge über den Winter so kräftig werden, dass sie bereits in ihrem ersten Lebensjahr „frischen“, sprich Junge bekommen. Die Jagd selber ist völlig unstrukturiert: Ohne jegliche Rücksicht auf Alter und Geschlecht der Tiere wird – insbesondere im Rahmen von Drückjagden – alles niedergemacht, was vier Beine hat. So wird auch die natürliche Geburtenkontrolle durch die Zerstörung der Sozialgefüge zunichte gemacht. Wer überlebt, pflanzt sich fort. So kommt es, dass Jagdverbände alle zwei, drei Jahre neue Rekordstrecken getöteter Wildsauen melden.
Ein ähnliches Bild bei den Rehen. Dass Rehwild und andere Paarhufer des Waldes die Naturverjüngung verhindern ist eine von den Waldbesitzern erfundene Mär. Den Forstbetrieben – insbesondere staatlichen Forstbetrieben wie dem Sachsenforst oder den Bayerischen Staatsforsten – geht es allein um die Rendite. Die wird möglicherweise durch den Verbiss von Rehen geringfügig geschmälert. Aber ist das systemrelevant? Nein ist es sicherlich nicht. Auch ein Wald lässt sich durch den Verbiss durch Rehe nicht sonderlich irritieren. Verbissene Jungpflanzen wachsen dann vielleicht nicht so gerade, wie der Waldbauer es sich vorstellt, und auch nicht so schnell, aber letztlich lassen sie sich nicht aufhalten, neue Bäume zu werden. Außerdem zeigen die Daten der Bundeswaldinventur, dass auf jedem Hektar Wald in Deutschland durchschnittlich 4.000 junge Bäume ohne Schäden durch Wildverbiss heranwachsen.
Und auch im Bereich des Forstes ist es so, dass durch eine strukturiere und durchdachte Jagd das Geschehen gesteuert werden könnte. Dazu gehören sicherlich keine Drückjagden während der nahrungsarmen Wintermonate, wie sie zumindest in Bayern immer wieder durchgeführt werden. Auch tragen die ganzjährige Jagdzeiten - in Deutschland für Rehe und andere Paarhufer übrigens die längsten in Europa – nicht dazu bei, dass es am Ende weniger Verbiss gibt.