Alternative Fakten und die Senkung des Schutzstatus für den Wolf
- Dr. Martin Steverding
- 15. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Wer erinnert sich noch an Trumps Beraterin während seiner ersten Amtszeit, Kellyanne Conway? Sie prägte bei einer Talkshow im Jahr 2017 den Begriff „alternative Fakten“, der in Deutschland und in Österreich damals zum Unwort des Jahres gewählt wurde. Dieser Begriff meinte nichts anderes als: Egal wie die Wahrheit aussieht, wir können uns die Dinge so zurechtbiegen, wie wir wollen. Er prägt eine Art von Dammbruch, seitdem insbesondere evidenzbasierte wissenschaftliche Erkenntnisse häufig in Zweifel gezogen oder gar ignoriert werden. Sind die Fakten unbequem oder widersprechen sie einem gerade herrschenden Interesse, bedient man sich nun gern „alternativer Fakten“.

Genauso lief es bei der Herabstufung des Schutzstatus des Wolfs in der Berner Konvention und nun auch in der FFH-Richtlinie. Wissenschaftler, die Jahre und Jahrzehnte lang geforscht haben, Erkenntnisse und Beweise zusammengetragen und Lösungsvorschläge erarbeitet haben, bleiben ratlos zurück.
Voraussetzung für die Herabstufung des Schutzstatus einer streng geschützten Art ist insbesondere das Erreichen eines günstigen Erhaltungszustands. Gemäß der FFH-Richtlinie müssen für eine Bewertung des Erhaltungszustands wissenschaftlich erhobene Fachdaten verwendet werden. Der günstige Erhaltungszustand ist erreicht, wenn eine Art, hier der Wolf, ihr gesamtes natürliches Verbreitungsgebiet besiedelt und dies voraussichtlich auch weiterhin so bleibt.
In Deutschland ist weniger als ein Drittel der Staatsfläche von Wölfen bewohnt, obwohl sich der Großteil des Landes als Lebensraum für diese anpassungsfähige und flexible Tierart eignet. In den meisten EU-Ländern ist die Situation ähnlich: Der Wolfsbestand expandiert zwar, aber vom Erreichen eines günstigen Erhaltungszustands sind wir - genauso wie andere Staaten in Europa - noch weit entfernt. Dennoch hat das Europäische Parlament am 8. Mai 2025 der Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes in der FFH-Richtlinie zugestimmt. Zahlreiche Quellen belegen, dass die Herabstufung des Schutzstatus jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt (1, 2, 3) und somit auf „alternativen Fakten“ beruht. Eine endgültige Entscheidung zur Änderung der FFH-Richtlinie durch Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Rat der Europäischen Union erfolgt voraussichtlich im Juni und gilt als Formsache.
Ebenso schlimm wie die verbreitete Ignoranz der Wissenschaft sind die falschen Hoffnungen, die bei Weidetierhaltenden geweckt werden. Es ist vielfach bewiesen, dass der Abschuss von Wölfen die Probleme nicht löst und dass es keine Alternativen zu einem guten Herdenschutz gibt. Es ist aber eine unbequeme Wahrheit, dass die Politik den Weidetierhaltenden viel mehr und viel unbürokratischer als bisher unter die Arme greifen und den Herdenschutz effizient fördern muss.
Stattdessen ignoriert die Politik auch hier lieber die Fakten und gibt bereitwillig den einflussreichen Lobbyverbänden nach, die laut nach Abschuss des Wolfes rufen. Zerstörte Rudelstrukturen und der Verlust erfahrener Wölfe, führen zu mehr statt zu weniger Rissen.
Die Leidtragenden sind die Tierhalter und natürlich die Weidetiere selbst, die bewusst im Regen stehen gelassen werden. Die am meisten Leidtragenden sind letztlich die Wölfe, denn der Ruf nach Abschuss wird nicht verklingen, solange nur populistische Scheinlösungen umgesetzt werden. Zudem sinkt die Hemmschwelle zur Selbstjustiz weiter. Von 1.000 tot aufgefundenen Wölfen in Deutschland trugen 14 Prozent Geschosse in ihren Körpern, die nicht Todesursache waren (4). Mit anderen Worten: Mehr als jeder achte Wolf in Deutschland hat Beschuss überlebt. Wie viele Wölfe tödlich getroffen wurden, ist unbekannt, denn die meisten illegal gejagten Wölfe dürften nicht gefunden werden, ganz nach dem Motto: Schießen, schaufeln, schweigen.
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1) Der BS23-Bericht wurde nicht von Fachleuten geprüft, enthält keine Begründung für die Herabstufung und weist auch nicht darauf hin, dass die Herabstufung eine valide Lösung zur Verbesserung der Koexistenz darstellt. (Blanco JC and Sundseth K (2023) The situation of the wolf (Canis lupus) in the European Union wurde von der EU als "wissenschaftliche" Studie für die Entscheidung der Herabsetzung des Schutzes des Wolfes herangezogen)
2) Die LCIE (Large Carnivore Iniciative for Europe) bemängelt die Entscheidungsfindung der EU zur Herabsetzung des Schutzes des Wolfes