Hören | Die Frühlingsluft über der weiten offenen Ackerlandschaft ist erfüllt vom Gesang Dutzender Feldlerchen. Abwechselnd flügelschlagend und gleitend überquert ein Mäusebussard die Felder. Plötzlich steigt aus einem nassen Acker mit Maisstoppeln vom Vorjahr eine Gruppe von etwa 15 schwarzweißen Vögeln auf, ihr Ziel ist der Bussard. Mit rasanten abwechselnden Attacken zwingen sie den Greifvogel, die Flugrichtung zu wechseln und die Flucht zu ergreifen. Aufgabe erledigt – die Luftakrobaten gleiten elegant herab und verteilen sich auf dem Stoppelfeld. Kaum gelandet, sind sie schon wieder in der Luft. Wieder schließen sie sich zusammen und blasen mit energischem „kiewitt“ zur Attacke. Das Ziel ist dieses Mal eine Gruppe von Krähen, die schon freiwillig wendet.

Über diesem Acker, der aufgrund des regenreichen Winters und defekter Drainage förmlich abgesoffen ist und in diesem Jahr nicht bewirtschaftet werden kann, haben die Kiebitze absolute Lufthoheit. Ihre enorme Flugkunst und Wendigkeit und ihre Kooperation in der Luftverteidigung machen den Acker zu einer Festung, die von keiner Krähe und keinem Greifvogel betreten, ja nicht einmal überflogen werden kann. Kaum ein Tier wird hier den bereits im März gelegten Eiern und den später daraus schlüpfenden Küken gefährlich. Selbst große Hunde schlagen die kühnen Verteidiger in die Flucht.
Dies ist eine Szene aus der Vergangenheit, aus den 1980er-Jahren, als die Felder im Münsterland voll mit Kiebitzen und Feldlerchen waren. 17 Kiebitznester zählte ich damals auf dem kleinen abgesoffenen Maisstoppelfeld. Kiebitze prägten zu dieser Zeit die Kulturlandschaft, die hübschen schwarzweißen Vögel mit dem grünen Metallglanz und der einzigartigen langen Federhaube waren allgegenwärtig. Ihre rasanten Balzflüge kündigten gemeinsam mit dem damals überall zu hörenden Feldlerchengesang etwa Anfang März den nahenden Frühling an. Heute herrscht bedrückende Stille in der Feldlandschaft, man muss lange nach den wenigen noch verbleibenden Kiebitzen suchen.
Was ist seitdem passiert? Viele Landwirte und Jäger (die meist beides in einer Person sind) schieben das Verschwinden der Kiebitze gern auf die Krähen und Füchse. Wir erinnern uns an die zu Beginn geschilderte Luftverteidigung: Beutegreifer hatten in Wirklichkeit kaum eine Chance. Es ist nicht nur eine verklärte Erinnerung an bessere Zeiten, sondern eine belegte Tatsache: Die Luftverteidigung der Kiebitze ist hocheffizient. Sie funktioniert so gut, dass alle anderen Bodenbrüter im Umfeld einer solchen Kiebitzkolonie davon profitieren. Voraussetzung ist aber, dass es genügend Kiebitze gibt – so viele, dass sie kleine Brutkolonien bilden können, die den Luftraum und den Boden gemeinsam verteidigen [1].
Die wirklichen Ursachen für den extremen Bestandseinbruch der Kiebitze sind das Verschwinden der Insektennahrung für die Küken durch Überdüngung und Pestizide, Brutverluste durch Bewirtschaftung, verbreitete Mais-Monokulturen (Kiebitze brüten zwar auf Maisfeldern, sie eignen sich aber nicht zur Jungenaufzucht), Verlust der Vielfalt der landwirtschaftlichen Nutzung, Verlust von beweidetem Grünland und nicht zuletzt die Trockenlegung. Weil Kiebitze ziemlich alt werden, spiegelte der Kiebitzbestand die Lebensraumveränderungen verzögert wider. Die Zahl der Brutpaare ging erst dann spürbar zurück, als der Nachwuchs schon mehrere Jahre lang nahezu ausgeblieben war. Heute reicht der Bruterfolg bei weitem nicht mehr für den Bestandserhalt aus, die Kiebitze werden daher bald unweigerlich aus der Kulturlandschaft verschwunden sein. Daran ändert auch die rigorose und vollkommen sinnlose Bejagung von Prädatoren wie Fuchs oder Krähe nichts.
Im zweiten Teil berichten wir in Kürze über den vermeintlichen Sinn des sogenannten aktiven Prädatorenmanagements, also die gezielte Beseitigung von Beutegreifern zum Schutz von Wiesenvögeln wie Kiebitz, Brachvogel oder Uferschnepfe.
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[1] Teunissen, W., C. Kampichler, F. Majoor, M. Roodbergen & E. Kleyhaag (2020): Predatieproblematiek bij weidevogels. Sovon-rapport 2020/41. Sovon Vogelonderzoek Nederland, Nijmegen.