Wiesenbrüterschutz in Deutschland: Schöner Schein und ernüchternde Realität
- Karin Oswald
- vor 1 Tag
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Hochglanzbroschüren von Behörden und Naturschutzverbänden zeichnen ein Bild von vorbildlicher Zusammenarbeit für den Schutz der Wiesenbrüter. Doch unsere deutschlandweite Recherche enthüllt ein völlig dysfunktionales System. Statt echter Kooperation und wissenschaftlicher Evaluation prägen Misstrauen, mangelnde Datenerhebung und mächtige Lobbyinteressen den Alltag.

Glaubt man den Hochglanzbroschüren von Behörden und Naturschutzverbänden, kann man den Eindruck gewinnen, dass im Wiesenvogelschutz alle an einem Strang ziehen: Artenschützer, Naturschützer, Behörden, aber auch Landwirte und Jäger. Gleichzeitig wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass die vor Ort getroffenen Maßnahmen systematisch erfasst, wissenschaftlich ausgewertet und entsprechend angepasst werden.
Wie aber schaut die Praxis aus? Wir haben uns deutschlandweit an Menschen gewandt, die Wiesenbrüterschutzgebiete betreuen, wir sind mit den zuständigen Behörden in Kontakt getreten und haben nachgefragt, welche Ansätze man vor Ort verfolgt und wie die Effektivität der einzelnen Maßnahmen bewertet wird. Zusätzlich haben wir die Umweltministerien der verschiedenen Bundesländer nach ihrer Einschätzung gefragt und haben uns mit den Vogelschutzwarten, denen beim Wiesenbrüterschutz eine beratende Funktion zukommt, in Verbindung gesetzt.
Das Ergebnis war ernüchternd. Unsere Anfragen stießen auf sehr viel Misstrauen, man hielt sich bedeckt und oft blieben unsere Fragen auch unbeantwortet. Es gab jedoch auch sehr aufschlussreiche Gespräche mit unterschiedlichen Experten, die uns interessante Einblicke in ein völlig dysfunktionales System ermöglichten. Schnell wurde klar, dass effektiver Wiesenbrüterschutz noch viel zu oft am Widerstand mächtiger Interessenvertretungen scheitert.
Einig waren sich fast alle angefragten Stellen darin, dass der Wiesenbrüterschutz mit dem Wiederherstellen intakter Lebensräume steht und fällt. Je nach Lage der angefragten Schutzgebiete wurden auch Maßnahmen zur Besucherlenkung für nötig gehalten. Die Bejagung der Beutegreifer wurde immer wieder als „politisch motiviert“ und wenig zielführend bezeichnet.
Schnell stellte sich heraus, dass in der Regel keine echte, abgestimmte Zusammenarbeit zwischen der örtlichen Jägerschaft und den anderen am Wiesenbrüterschutz beteiligten Parteien stattfindet. Die Jäger sind auch in Wiesenbrüterschutzgebieten nicht den Naturschutzbehörden unterstellt, sondern arbeiten völlig autonom. Die Zahl der vorgeblich für den Artenschutz getöteten Beutegreifer bleibt das Geheimnis des jeweiligen Revierpächters - keine der angefragten Naturschutzbehörden konnte uns hierzu Zahlen nennen. Die vielgepriesene „enge Zusammenarbeit“ beschränkt sich meist auf ein gemeinsames Pressefoto, wenn wieder einmal medienwirksam mit öffentlichen Geldern finanzierte Betonrohrfallen von der Naturschutzbehörde an die örtliche Jägerschaft übergeben werden.
In vielen Wiesenbrüterschutzgebieten kommt neben der Jagd auf Beutegreifer eine Vielzahl unterschiedlichster Maßnahmen zum Einsatz: Betretungsverbote, Absprachen mit Landwirten, lebensraumverbessernde Maßnahmen, Schutz von Gelegen durch Zäune. Die Maßnahmen unterscheiden sich von Gebiet zu Gebiet sehr stark und sind oft abhängig vom Bauchgefühl und dem Engagement der Akteure vor Ort. In welchem Umfang welche Maßnahme an einem eventuellen Bruterfolg beteiligt ist, wird kaum ausgewertet.
Es gibt in Deutschland keine jagdfreien Gebiete, aus denen man ableiten könnte, wie sich die Bestandszahlen der Wiesenbrüter ohne Bejagung von „Raubwild“ entwickeln würden. Ebenso werden Störungen durch die Jagdausübung nirgends untersucht. Es fehlen Vergleichsgebiete mit gezielt unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und entsprechend wissenschaftlicher Auswertung. Schier unglaublich ist, dass vielerorts nicht einmal die Zahl der Brutpaare bzw. der flügge gewordenen Jungvögel systematisch erfasst wird: Personalknappheit, das Abtreten dieser Aufgabe an ehrenamtliche Naturschutzwächter oder schlicht Desinteresse machen ein professionelles Monitoring unmöglich.
Von der Vorstellung, dass sich alle Beteiligten – Naturschutzbehörden, Naturschützer und Jäger – zusammensetzen, ein Konzept ausarbeiten, die Maßnahmen regelmäßig überprüfen und entsprechend anpassen, ist man in der Realität also weit entfernt. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Gruppen mag örtlich besser funktionieren, aber in den von uns angefragten Gebieten konnte uns in keinem einzigen Fall ein schlüssiges Gesamtkonzept vorgelegt werden.

Aus den zuständigen Referaten der verschiedenen Umweltministerien kamen – sofern unsere Fragen überhaupt beantwortet wurden – teils sehr reflektierte und kritische Anmerkungen, die Bejagung von Beutegreifern wurde hier zum Teil erstaunlich deutlich abgelehnt. Andere Ministerien gaben offen zu, dass sie sich für die Beantwortung unserer Fragen Unterstützung aus dem Jagdministerium geholt hatten.
Die einzelnen Aspekte unserer Recherche werden wir anhand von Beispielen noch näher beleuchten. Im nächsten Beitrag werden wir an einem konkreten Beispiel aufzeigen, wie Lobbyinteressen effektiven Wiesenbrüterschutz verhindern können, wer bei den Entscheidungen mit am Tisch sitzt und wie man sich die vielgepriesene enge Zusammenarbeit mit den Jägern in der Realität vorstellen muss.
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Lesen Sie hier weitere Beiträge zum Wiesenvogelschutz:
Wiesenbrüter, Teil 1: Kiebitze – gefiederte Luftverteidigung
Wiesenbrüter, Teil 2: Prädationsmanagement mit der Waffe nicht zielführend
Wiesenbrüter, Teil 3: Vorrang für den Lebensraumschutz