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Hessische Jagdverodnung: Offener Brief an den parlamentarischen Geschäftsführer der CDU im Landtag

  • Autorenbild: Lovis Kauertz
    Lovis Kauertz
  • 10. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Juli

Sehr geehrter Herr Schon,

vielen Dank für Ihr Antwortschreiben vom 1. Juli hinsichtlich unserer Kritik an der Novellierung der Hessischen Jagdverordnung mit Schreiben vom 23. Juni. Gestatten Sie mir, dieses Schreiben als offenen Brief zu formulieren.


Wir halten es gerade deshalb nicht für sachgerecht „insbesondere Fachverbände aus dem Bereich der Jagd“ anzuhören, weil die in erster Linie als Lobbyisten für ihr Nutzungsrecht – nichts anderes ist das Jagdrecht – auftreten. Mir ist aus meiner langjährigen Arbeit im Tier- und Naturschutz keine Novellierung eines Jagdgesetzes oder einer Verordnung geläufig, bei welcher Interessenvertreter der Jagd initiativ nur einen Deut hinsichtlich ihres Nutzungsrechts zugunsten des Tier- oder Naturschutzes nachgegeben oder eingelenkt hätten. Eher ist das Gegenteil der Fall, es wird selbst dann Druck seitens der Jägerschaft auf Landesregierungen gegen avisierte Änderungen ausgeübt, wenn diese im Sinne des Tier- oder des Artenschutzes durchaus Sinn ergeben. Vielleicht erinnern Sie sich an die letzte Novellierung der Hessischen Jagdverordnung. Der Landesjagdverband drohte öffentlich damit, die Hege (für die die Jägerschaft nach dem Jagdgesetz verpflichtet ist) für Feldhase und Rebhuhn künftig zu unterlassen, wenn diese im Bestand bedrohten Tierarten mit ganzjähriger Schonzeit versehen werden.


Auch steht der Landesjagdverband keineswegs für tierschutzkonform oder praxistauglich ausgestaltete Regelungen, wie u.a. der von diesem Verband maßgeblich beeinflusste Vorschlag zur neuen Jagdverordnung zeigt. Ganzjährige Jagdzeiten – ob für die Fuchsjagd oder in Bezug auf invasive jagdbare Tierarten – sind weder tier- oder artenschutzgerecht noch praxistauglich. Sie zielen allein auf die Ausweitung des Nutzungsrechts der Jagdausübungsberechtigten ab, ohne in der Praxis tatsächlich Konflikte mit Wildtieren oder Natur- und Artenschutzprobleme zu lösen. Die Befürwortung der erwiesenermaßen nicht tierschutzkonformen Baujagd, die Duldung von Drückjagden auf pflanzenfressende Huftiere während der nahrungsarmen Winterzeit und die Veranstaltung sogenannter Fuchswochen während der Paarungs- und beginnenden Setzzeit der Füchse sprechen da für sich.


Die Ausweitung der Jagdzeiten und die Einbeziehung weiterer Tierarten mag – wie Sie sagen – nicht im Widerspruch zum 1952 gefassten und zuletzt 1976 geänderten Bundesjagdgesetz stehen. Sie berücksichtigt aber weder das Staatsziel Tierschutz noch die Regelungen der Berner Konvention, der FFH-Richtlinie, des Bundesnaturschutzgesetzes oder auch nur der wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte, nicht einmal die Praxiserfahrungen im Hinblick auf das Wildtier-Management.


Die Ausweitung der Jagdzeiten ist auch ethisch nicht vertretbar, weil dadurch – ohne etwaige Konflikte zu lösen – insbesondere während der Aufzuchtzeiten erhebliches Leid erzeugt wird. Für die Bejagung der Rote Liste Arten Baummarder und Iltis, aber auch für Mauswiesel und Hermelin gibt es keinen vernünftigen Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes. Die erneute Einführung von Jagdzeiten für diese Tierarten kollidiert mit allen oben genannten Regelungen. Die Freigabe von Jagdzeiten während der bei vielen Tierarten mindestens sechs Monate andauernden Aufzuchtzeiten führt unweigerlich zu Straftaten im Rahmen des sog. Elterntierschutzes. Kein Jagdausübungsberechtigter kann einen für die Aufzucht erforderlichen Fuchsrüden von einem nicht-Elterntier zweifelsfrei unterscheiden.


Mit der vorliegenden Novelle der Hessischen Jagdverordnung schafft das Ministerium keineswegs einen „ausgewogenen Kompromiss“ zwischen dem „Schutz der Schon- und Aufzuchtzeiten“. Sie zielt ausnahmslos auf die Ausweitung des Nutzungsrechts hin, ohne Berücksichtigung von Erfordernissen des Tier- und Naturschutzes, sogar unter Inkaufnahme des Verstoßes gegen gesetzliche Regelungen und der Schaffung von Rechtsunsicherheiten.


Für den Umgang mit invasiven Tierarten hat die Jagd bis dato in der Fläche nie eine Lösung geliefert. Dass Tierarten keine natürlichen Fressfeinde haben, ist kein Argument für die Bejagung einer Art, zumal die Vergangenheit zum Beispiel beim Waschbären gezeigt hat, dass seine Bestände trotz intensiver Bejagung von Jahr zu Jahr ansteigen. Das liegt in erster Linie daran, dass die Lebensraumkapazität dieser Art bislang nicht ausgeschöpft ist, nicht am Fehlen von Fressfeinden.


Die Novelle als einen Beitrag zu einer ganzheitlichen Regelung der Naturräume in Hessen zu bezeichnen, ist realitätsfremd. Ein rein letales Nutzungsrecht kann niemals ein ganzheitliches Instrument im Sinne des Naturschutzes sein.


Auch Ihre Einstellung zur Nachtzieltechnik kann ich so nicht teilen. Dazu zitiere ich (gekürzt) den Wildmeister und Bundesobmann der Berufsjäger a.D. Dieter Bertram: „Was unter dem Deckmantel „effizienter Wildschweinjagd“ verkauft wird, ist ein weiterer Schritt in Richtung einer enthemmten, rein technischen Jagdausübung, die mit waidgerechter Hege wenig zu tun hat. Die Nachtjagd mit Hochleistungsoptik erzeugt Stress, Unruhe und Bewegungsdruck. Und das als Feigenblatt mit der drohenden ASP zu verwenden, zeugt von völliger Ignoranz der Sachlage – oder, schlimmer noch, von kruder Stimmungsmache. Weidwundschüsse und Fehlabschüsse werden nicht seltener, sondern häufiger. Eine Fehlentwicklung, die von Nachsuchenführern beobachtet wird.“


Es gibt, sehr geehrter Herr Schon, nicht einen Beleg dafür, dass die ganzjährige Bejagung des Schwarzwilds, geschweige denn die Nutzung von Nachtjagdtechnik, auch nur einen geringen Nutzen im Hinblick auf die Seuchenprävention hat.


Das CDU-geführte Landwirtschaftsministerium forciert eine rein von Nutzerinteressen getriebene Änderung der Jagdgesetzgebung, die weder wissensbasiert, natur- und artenschutzkonform noch lösungsorientiert ist.


Mit freundlichen Grüßen, Lovis Kauertz

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Elterntierschutz aufgehoben - Schonzeiten gestrichen - Jagdzeiten verlängert - Rote Liste Arten aufgenommen: Die Novellierung der Jagdverordnung Hessen | Bild: Olaf Liesche
Elterntierschutz aufgehoben - Schonzeiten gestrichen - Jagdzeiten verlängert - Rote Liste Arten aufgenommen: Die Novellierung der Jagdverordnung Hessen | Bild: Olaf Liesche

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